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Migrationshintergrund

RESPEKT Migrationshintergrund

Stand: 21.07.2021

  • Der "Migrationshintergrund" wird seit 2005 vom Statistischen Bundesamt abgefragt, um bestimmte Bevölkerungsgruppen in einer Kategorie zusammenfassen zu können.
  • Tatsächlich bezeichnet die Kategorie jedoch so unterschiedliche Menschen, dass das Zusammenfassen in einer einzigen Kategorie eher hinderlich ist.
  • Auch Menschen, die deutsche Staatsbürger und/oder hier geboren sind, haben "Migrationshintergrund" - wenn mindestens EIN Elternteil nicht mit deutscher Staatsbürgerschaft geboren wurde.
  • Von der Polizei, der Justiz und den Medien wird der Begriff "Migrationshintergrund" meist nur dann benutzt, wenn es um People of Color oder um Geflüchtete geht und wenn es sich um Negativmeldungen handelt.

Wer hat eigentlich "Migrationshintergrund"?

Die Kategorie "Migrationshintergrund" wurde 2005 vom Statistischen Bundesamt eingeführt, um mehr über die Menschen zu erfahren, die nach Deutschland eingewandert sind, und über deren Kinder. Laut offizieller Definition hat eine Person Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. "Migrationshintergrund" ist also vor allem ein Begriff für Statistiken. Aber auch Politik, Polizei und Justiz verwenden ihn oft. Und über diese Kanäle taucht er auch in den Medien auf – jedoch sehr einseitig. Jeder vierte Fernsehbeitrag oder Zeitungsbericht im Zusammenhang mit dem sogenannten "Migrationshintergrund" handelt von Gewalttaten. So eine Studie von 2020.

Nie richtig angekommen

Zobair flüchtete aus Afghanistan nach Deutschland. Es war eine dramatische Reise, auf der er Menschen sterben sah. Er gilt als Mensch mit Migrationshintergrund und hat tatsächlich auch Migrationserfahrung. Er ist froh, jetzt in Sicherheit zu sein. Eigentlich. Denn auch wenn er das Gefühl hat, alles richtig zu machen, droht ihm die Abschiebung. Er macht gerade ein Praktikum in einer Kfz-Werkstätte, ist deutscher Vizemeister im Amateur-Boxen, spricht Deutsch - und hat doch nicht das Gefühl, angekommen zu sein oder dazuzugehören.

"Man muss einfach mit seinem Leben spielen, um nach Europa zu kommen. Was haben wir hier dann? – Wieder zurück nach Afghanistan."

Zobair ist deutscher Vizemeister im Amateur-Boxen, ihm droht permanent die Abschiebung

Black and beautiful

David Mayonga wuchs auf dem bayerischen Land auf. Er fühlte sich wie alle anderen, als Bayer - bis zu einem Ereignis im Kindergarten. Ein anderes Kind im Stuhlkreis sagte, es wolle nicht neben einem "N-Wort" sitzen. Und David begriff, dass ER damit gemeint war. Ein Schock. Das Gefühl, nicht dazuzugehören, begleitet ihn sein ganzes Leben. Dass er sich heute als "black and beautiful" bezeichnen kann und sich in seiner Haut wirklich wohlfühlt, dafür hat er über 35 Jahre gekämpft. So entstand sein neuester Hit "Wie Black", in dem er die Schönheit dunkler Hautfarbe feiert und alle Menschen, die "black and beautiful" sind.

"Der Begriff 'mit Migrationshintergrund' ist ja so ein Begriff, um Menschen wie dir zu sagen: Du bist doch anders, du gehörst nicht dazu. Früher hat man gesagt, 'die Ausländer'."

David Mayonga, aka Roger Rekless, Bestsellerautor und Rapper

Songtext

Im Video können Untertitel zugeschaltet werden, um den Songtext mitlesen zu können - rechts auf "UT" klicken.

Wer hat "Migrationshintergrund"?

  • Etwa ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland hat der Statistik zufolge "Migrationshintergrund"
  • Mehr als die Hälfte davon – gut 11 Millionen – sind jedoch Deutsche, besitzen also die deutsche Staatsbürgerschaft.
  • 6 Millionen davon haben gar keine Migrationserfahrung. Sie sind nicht selbst zugewandert, sie wurden in Deutschland geboren.
  • Zwei Drittel der Menschen mit "Migrationshintergrund" kommen aus europäischen Staaten.

Migrationshintergrund - für Weiße nicht relevant

Auch Lena Odell hat "Migrationshintergrund". Ihre Großeltern kommen aus vier verschiedenen Ländern: Österreich, Niederlande, Slowenien, Deutschland. Ihr Mann David kommt aus Großbritannien. Beide finden die Kategorie "Migrationshintergrund" überflüssig, ja sogar kontraproduktiv. Denn sie werde vor allem dann benutzt, wenn über etwas Negatives berichtet wird. Der Verweis auf einen "Migrationshintergrund" soll dann ausdrücken: "Die gehören eigentlich nicht zu uns dazu". Lena Odell, Stadträtin in München, wünscht sich deshalb, dass diese Kategorie abgeschafft wird.

"Mir wird sozusagen nichts Böses unterstellt. Ja, ich habe trotz allem aus Sicht der Menschen das Recht, hier zu sein. Bei mir wird es nicht hinterfragt, weil es irgendwie trotzdem Europa ist."

Lena Odell, Stadträtin

Gemeinsame Merkmale: so gut wie keine

Ein Hauptkritikpunkt ist auch, dass Menschen "mit Migrationshintergrund" nicht mehr verbindet als die meisten anderen, willkürlich ausgewählten Gruppen, etwa "die" Deutschen. Menschen mit nicht-deutschen Wurzeln kommen aus vielen Kulturen und aus vielen Gründen: Flucht vor Krieg, Verfolgung und Hunger, Suche nach Arbeit, Familiennachzug, sogenannte Spätaussiedler. Ihre Ausbildung, ihr Beruf, ihre Interessen – die Vielfalt der Lebensstile entspricht der Vielfalt der Milieus der Bevölkerung ohne Migrationsgeschichte.

Mehr Zahlen und Fakten finden sich im Migrationsbericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Sehr informativ ist auch die interaktive Karte des Statistischen Bundesamts zu Migration und Integration. Hier kann man über den Reiter "Karteninhalt" rechts oben nach vielen Kriterien filtern.

Autorin: Monika von Aufschnaiter

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