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RS-Virus Warum sind derzeit so viele Kinder krank?

In ganz Deutschland sind Kinderkliniken überlastet, denn viele kleine Kinder haben sich mit dem Atemwegserreger RSV infiziert und einen schweren Krankheitsverlauf mit Atemnot. Doch auch andere Atemwegserreger sorgen derzeit für viele Erkrankungen – Grund der Infektionswellen sollen unter anderem die strengen Schutzmaßnahmen der Corona-Pandemie sein.

Von: Veronika Scheidl

Stand: 06.12.2022

RS-Virus: Kinderkliniken am Limit | Bild: BR

Liebevoll wiegt Evelyn Heinz ihren Jakob im Arm. Jakob ist erst zwei Wochen alt –  aber der Säugling muss schon viel durchmachen. Denn er hat sich mit dem RS-Virus infiziert, einem Atemwegserreger. Zuerst hatte Jakob nur Schnupfen, dann starken Husten – sein Zustand verschlechterte sich immer mehr, berichtet Evelyn Heinz.

"Es fing dann an mit extremer Atemnot. Die Hebamme war morgens bei uns und hat festgestellt, dass die Sauerstoffsättigung ziemlich niedrig war. Und sie hat uns dann auch geraten, in die Klinik zu kommen. Total beängstigend, muss ich ehrlich sagen."

Evelyn Heinz, Mutter

Jakob wird nun, im auf Pädiatrie spezialisierten Josefinum in Augsburg, stationär behandelt. Er braucht eine Nasenbrille für zusätzlichen Sauerstoff.

RS-Virus besonders für Säuglinge gefährlich

Mit in Jakobs Zimmer liegen noch zwei weitere kleine Patienten – der vier Wochen alte Vincent und der acht Wochen alte Uras. Auch sie kämpfen mit einer schweren RSV-Infektion. Die besorgten Mütter sind rund um die Uhr bei ihren Söhnen. Stationsärztin Annika Joßberger schaut im Patientenzimmer vorbei, um die Säuglinge zu untersuchen.

"Bei Kleinkindern sind die Atemwege viel kleiner und noch nicht so gut ausgereift. Da hat es dann eben ein Virus leichter, sich festzusetzen. Und die Kleinen haben natürlich auch noch nicht so viel Kapazitäten, sich dagegen gut zur Wehr zu setzen."

Annika Joßberger, Stationsärztin, Assistenzärztin für Kinder- und Jugendmedizin, KJF Klinik Josefinum Augsburg

Deswegen kann das RS-Virus für Säuglinge besonders gefährlich sein. Der kleine Vincent etwa hat wegen des RS-Virus sogar noch eine Lungenentzündung bekommen, zudem wahrscheinlich auch eine bakterielle Superinfektion. Darum wird Vincent nun mit Antibiotika behandelt. Angesteckt mit RSV hat er sich bei seinen älteren Geschwistern, die schon in den Kindergarten gehen, sagt seine Mama Monika.

Neben RSV auch Infektionen mit anderen Atemwegserregern

RSV ist einer der häufigsten Atemwegserreger im Kleinkindalter, eigentlich jedes Kind komme bis zu seinem zweiten Lebensjahr damit in Berührung, sagt Oberärztin Britta Welzenbach. Und bei den meisten Kindern verlaufe eine Infektion wie eine normale Erkältung. Doch dieses Jahr rollt eine RSV-Infektionswelle über Deutschland, mit mehr schweren Krankheitsverläufen – und dazu kommen auch noch andere Atemwegserreger, wie Rhino- oder Adenoviren.

"Auch die Influenza A, die dieses Jahr ungewöhnlich frühzeitig schon etliche Fälle hervorgerufen hat. Wir haben teilweise Kinder mit Mischinfektionen. Auch Corona spielt noch eine Rolle. Wenn man eine Abstufung vornimmt, sind die meisten Kinder tatsächlich mit RS-Virus Infektionen derzeit stationär, gefolgt von Influenza und dann erst Corona."

Dr. med. Britta Welzenbach, Oberärztin, Kinderpneumologie und Allergologie, KJF Klinik Josefinum Augsburg

RS-Infektionen können der Oberärztin zufolge nur symptomatisch behandelt werden: "Die übliche Therapie ist eigentlich Ruhe, ausreichend Flüssigkeit und Sauerstoffzufuhr, wenn die Sauerstoffsättigung erniedrigt ist."

Kliniken und Notaufnahmen sind überfüllt

Am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München kommen täglich neue kleine Patienten mit Atemwegsinfekten in die überfüllte pädiatrische Notaufnahme. Viele Kinder müssen stationär behandelt werden. Aber: Es gibt viel zu wenig Betten, zu wenig Pflegepersonal. Kinderärztin Anna Feuerecker telefoniert schon seit Stunden andere Kliniken ab.

"Die Situation ist katastrophal. Wir wissen nicht, wohin wir die Kinder noch legen sollen. Der Radius, wohin wir verlegen, ist sehr, sehr weit. Ich habe jetzt gerade mit Rosenheim telefoniert, die haben kein Bett. Wir haben heute Kinder nach Deggendorf verlegt und nach Garmisch."

Dr. Anna Feuerecker, Fachärztin für Kinderheilkunde und Kardiologie, Dr. von Haunersches Kinderspital München

Ein Krankentransport bringt gerade ein zwei Monate altes Baby und seine Mutter in die Passauer Klinik – dort ist ein überwachtes Bett frei geworden.

Corona-Hygienemaßnahmen als Grund für die vielen Infektionen

Ärzte vermuten: Grund für die Infektionswellen sind die starken Corona-Hygienemaßnahmen. Schließungen, Masken tragen, Abstand halten - hat das nun einen nachteiligen Effekt auf das Immunsystem? Das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) teilt mit, dass es auch vorher schon Winterwellen an gehäuften RSV-Infektionen gegeben hat. Doch die Maßnahmen der Pandemiejahre hätten dazu geführt, dass Atemwegserreger weniger zirkulieren – und dass damit jetzt die "Bevölkerungsimmunität geringer" sein könne.

Die Münchner Immunologin Bianca Schaub hatte bereits eine Infektionswelle befürchtet, nachdem man zuvor auf der Südhalbkugel einen deutlichen Anstieg an Infektionen beobachten konnte.

"Wir haben ein bis zwei Jahrgänge, die einfach diese verschiedenen anderen Atemwegsviren, ganz schlimm RSV, nicht gesehen haben. Und jetzt ist das Immunsystem neu exponiert und scheint damit etwas mehr kämpfen zu müssen, damit fertig zu werden."

Prof. Dr. med. Bianca Schaub, Stellvertr. Leiterin Pädiatrische Allergologie, Dr. von Haunersches Kinderspital München

Darum seien derzeit auch die Kinderkliniken überlastet – denn gleichzeitig zu den ganz Kleinen erkranken nun auch Kinder im dritten oder vierten Lebensjahr und brauchen medizinische Hilfe.

Kritik an Strukturen in der Kinderheilkunde

Dass Kinderkliniken derzeit überfordert sind mit den vielen Patienten, führt Schaub auf strukturelle Probleme in der "defizitären" Kinderheilkunde zurück. Für die Behandlung von Kindern brauche es mehr Zeit und Personal. Aber:

"Auf der einen Seite haben wir zu wenig Betten in den Krankenhäusern, die wir belegen können. Und unser Hauptproblem ist der Mangel an Kinderkrankenpflegern."

Prof. Dr. med. Bianca Schaub, Stellvertr. Leiterin Pädiatrische Allergologie, Dr. von Haunersches Kinderspital München

Sie kritisiert, dass es jetzt eine generalistische Pflegeausbildung gibt.

"Das heißt, jemand, der Kinderkrankenpfleger werden möchte, muss vorher seine Ausbildung zum Beispiel auch in der Altenpflege machen, bis er oder sie dann in der Kinderheilkunde ankommt."

Prof. Dr. med. Bianca Schaub, Stellvertr. Leiterin Pädiatrische Allergologie, Dr. von Haunersches Kinderspital München

Das werde die Kliniken in Zukunft vor noch größere Herausforderungen stellen.

Infektiologe: Keine generelle Schwächung des Immunsystems

Derzeit sind auch viele Erwachsene krank – denn auch sie sind mit weniger Erregern in Berührung gekommen. Eine generelle Schwächung des Immunsystems sieht der pädiatrische Infektiologe Johannes Hübner aber nicht.

"Das Immunsystem wird ständig trainiert durch Mikroorganismen, die in unserer Umgebung sind. Wir wissen, dass Viren zirkulieren - zum Beispiel respiratorische Viren wie Influenzaviren. Selbst wenn ich nicht erkranke an Influenza, habe ich Kontakt mit dem Virus. Und mein Körper sieht diese Viren und macht dagegen Antikörper. Oder es werden die Antikörper, die ich schon mal gebildet habe, noch mal geboostert."

Prof. Dr. med. Johannes Hübner, Leitender Oberarzt, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Dr. von Haunersches Kinderspital München

Geringerer "Nestschutz"?

Weniger Kontakt mit Erregern bedeutet aber: weniger Antikörper. Forscher vermuten, dass sich das auch auf Babys auswirken könnte.

"Wir wissen, dass manche dieser Antikörper von den Müttern über die Plazenta auf das Ungeborene übertragen werden. Und diese Kinder hätten dann theoretisch einen Vorteil, wenn sie mit diesen Antikörpern schon auf die Welt kommen."

Prof. Dr. med. Johannes Hübner, Leitender Oberarzt, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Dr. von Haunersches Kinderspital München

Dieser "Nestschutz" könnte durch die Corona-Hygienemaßnahmen schwächer geworden sein, vermuten Ärzte.

Wie sollen wir künftig mit Masken und Abstand halten umgehen? Sind diese Maßnahmen weiter nötig?

"Auf Dauer wird sicher nicht die gesamte Bevölkerung die Maske weitertragen. Ich würde annehmen, dass sich das Immunsystem wieder daran gewöhnt. Risikogruppen, also chronisch kranke Patienten, die da doch schwere Verläufe haben, werden aber sicher darüber nachdenken, sich auch weiterhin vor Atemwegsinfekten mit Maske zu schützen."

Prof. Dr. med. Bianca Schaub, Stellvertr. Leiterin Pädiatrische Allergologie, Dr. von Haunersches Kinderspital München

Neue Impfung gegen das RS-Virus zugelassen

Was auch schützen kann, sind Impfungen. Gegen RSV gibt es bislang allerdings nur einen Impfstoff, der alle vier Wochen während der Saison gegeben werden muss und der auch nur für Patienten mit Risikofaktoren zugelassen ist, etwa frühe Frühgeburten oder Kinder mit Herzfehlern und schweren Lungenerkrankungen, sagt Kinderärztin Lena Lange vom Augsburger Josefinum.

Doch nun gebe es auch einen neuen Antikörper-Impfstoff, der zwar von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassen wurde, aber noch nicht auf dem Markt sei. Auf dieser passiven Immunisierung ruhen viele Hoffnungen.

"Der Impfstoff wird einmalig in den Muskel gegeben und soll eine Saison lang vor schweren RSV-Infektionen und Krankenhausaufnahmen schützen."

Lena Lange, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Josefinum Augsburg

Im Moment gebe es den Impfstoff nur im Rahmen einer Studie, an der sich auch das Josefinum beteiligt. Die Studie will herausfinden, ob der neue Impfstoff besser ist als die momentane Methode – nämlich, dass Kinder ohne Risikofaktoren gar nicht geimpft werden.

Derweil können Eltern ihre Kinder gegen die Grippe impfen lassen.

"Es wird empfohlen, Kinder mit bestimmten Risikoerkrankungen, ab dem Alter von sechs Monaten zu impfen und dass man vorrangig auch die Familienmitglieder mit impft, weil dadurch dann die Atemwegserkrankungen an sich natürlich weniger werden und dadurch auch die Kliniken entsprechend nicht so rasch überlastet werden."

Dr. med. Britta Welzenbach, Oberärztin, Kinderpneumologie und Allergologie, KJF Klinik Josefinum Augsburg


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