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Mora – Gib Dir echtZeit Die Wiederentdeckung der Langsamkeit

Entschleunigung im Fernsehen: ARD-alpha hat mit "Mora" ein neues Format entwickelt, das Menschen in Echtzeit beim Arbeiten zeigt. An den Ostertagen sind die ersten drei Folgen zur besten Sendezeit zu sehen

Von: Dr. Felicia Englmann

Stand: 27.03.2015

Zeichnung eines Cello-Körpers | Bild: BR/Daniel Schrenker

Der Steg fehlt noch. Antonia Meyer holt ihn aus dem Raum nebenan und setzt ihn mit zwei Fingern auf den Corpus des Cellos. Ein prüfender Blick. Sie hebt den Steg wieder ab, nimmt ein kleines Messer, passt einen der Füße des Stegs an die Rundung an, setzt den Steg auf, prüft wieder. Der Steg muss perfekt sitzen, damit er die Schwingung der Saiten optimal auf den Klangkörper übertragen kann.

Die Handwerkerin greift ein anderes Messer, schnitzt. Das Schaben der Klinge auf dem harten Holz ist ein trockenes Knirschen. Antonia Meyer schnauft. "Nur durch Langsamkeit und Geduld gelingt es mir, bei meiner Arbeit die nötige Präzision zu erreichen", verrät sie dem BR-Magazin "Zum Glück wird das auch von den Musikern geschätzt und verlangt, sodass die Arbeit des Geigenbauers auch heute einen Platz in unserer Gesellschaft findet." Wie präzise und konzentriert Antonia Meyer arbeitet, zeigt die erste Folge des neuen Fernsehformats "Mora – gib Dir echtZeit": Eine Stunde lang ist zu sehen, wie sie an einem Cello arbeitet. Ohne Schnitt, ohne Kommentar, ohne Hintergrundmusik, ohne Erklärung. Der Bildschirm ist in vier Felder aufgeteilt, sodass Antonia immer aus vier Perspektiven gleichzeitig zu beobachten ist.

Sehgewohnheiten herausfordern

"Wir haben uns dafür entschieden, die Reihe 'Mora' zu taufen, weil dieser lateinische Begriff eine zeitliche oder auch eine räumliche Bedeutung besitzen kann", erklärt Autor und Filmemacher Daniel Schrenker. Er hat über viele Monate hinweg das Konzept der Sendung entwickelt. "'Mora" lässt sich sowohl in 'Aufenthalt' als auch in 'Pause' oder 'Zeit' übersetzen. Und da sich unsere Fernsehreihe einerseits mit der Zeit, die ein Mensch für eine Tätigkeit braucht, und andererseits auch mit dem (Arbeits-)raum beschäftigt, passte das einfach ganz wunderbar."

Die erste Folge von "Mora" ist am Karfreitag zu sehen, die nächsten beiden Folgen am Karsamstag und Ostersonntag, jeweils zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr. Daniel Schrenker will mit den drei meditativen Filmen den Zuschauern eine Alternative bieten, ein Entspannen ohne Abzuschalten, eine Möglichkeit der medialen Entschleunigung. "Slow TV", langsames Fernsehen, fordert die Sehgewohnheiten der Fernsehzuschauer heraus, stellt aber auch Fragen an den Alltag: Wo gibt es noch Tätigkeiten, bei denen Konzentration, Langsamkeit und Präzision wichtiger sind als Schnelligkeit, Erreichbarkeit und ständige Kommunikation?

Die Filmemacher haben sie im Geigenbauatelier Augsburg gefunden. Die zweite Folge führt in einen Weinberg im unterfränkischen Klingenberg. Dort baut Károly Kóvacs eine Trockenmauer aus Sandsteinen. In der dritten Folge geht es in die Werkstatt des Münchner Uhrmachers Oliver Belik. Es geht um die Möglichkeit des Zusehens, nicht um eine erklärende Dokumentation zum Handwerk oder gar eine Anleitung. Daher muss man Antonia Meyer direkt fragen, woran sie arbeitet: "Das Cello, bei dem ich im Film die Saiten aufziehe, und danach drauf spiele, gehört jetzt einer jungen Cellistin aus Ulm. Eine kleine Besonderheit, die ich an dem Cello gemacht habe, ist eine geschwungene Einlegearbeit am Boden des Instruments; zur Verzierung. Als das Filmteam in unserer Werkstatt war, bin ich gerade mit dem Bau des Cellos fertig gewesen. Dann beginnt die Klangeinstellung am Instrument, etwa durch das Verstellen des Stimmstocks, der senkrecht zwischen Decke und Boden klemmt."

Für den Zuschauer ist "Mora" ein Ausgleich zu anderen Medienangeboten und zum hektischen Alltag. Aber welchen Ausgleich findet Antonia Meyer zu ihrer Arbeit? "Ich mache gern Ballsport, meistens Basketball und im Sommer auch Beachvolleyball, und gehe regelmäßig tanzen. Dabei kann es schon mal schnell werden. Beim groben Stechen und Hobeln einer Cellowölbung wird es aber auch im Geigenbau zwischendrin durchaus mal sehr sportlich. Ansonsten sind Cellospielen – am liebsten mit meinem Streichquartett – oder abends in einem schönen Buch lesen auch ein wunderbarer Ausgleich zum Handwerk."


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