Religion & Orientierung


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Jüdisches Leben in Bayern Würzburgs Aufbruch nach Europa

Einst hatte Unterfranken die stärkste jüdische Besiedlung in ganz Bayern. Heute ist Würzburg die einzig verbliebene jüdische Gemeinde in der Region. Seit den 90er-Jahren entwickelt sich dort wieder ein lebendiges und vielfältiges Gemeindeleben.

Stand: 03.01.2021 | Archiv

Jüdisches Museum Shalom Europa in Würzburg | Bild: https://www.fraenkisches-weinland.de/

Einst hatte Unterfranken die stärkste jüdische Besiedlung in ganz Bayern. Heute ist Würzburg die einzig verbliebene jüdische Gemeinde in der Region.

Alte Würzburger Synagoge innen | Bild: BR

Alte Würzburger Synagoge, 1938 von den Nazis verwüstet, 1956 wegen Einsturzgefahr abgerissen

Seit den 1990er-Jahren entwickelt sich dort wieder ein lebendiges und vielfältiges Gemeindeleben - hauptsächlich durch die vielen Zuwanderer aus der ehemaligen UdSSR. So ist die Zahl der Gemeindemitglieder seit 1990 von nur noch knapp 200 wieder auf etwa 1.100 angewachsen - die meisten davon leben in Würzburg selbst.

Würzburger Synagoge heute | Bild: BR

Die heutige Synagoge im Gemeinde- und Kulturzentrum in der Arthur-Becker-Straße wurde 1970 eingeweiht.

In der Stadt gab es bis zur Shoa sieben Synagogen. Sie wurden 1938 von den Nazis verwüstet oder völlig zerstört. Die ehemalige Hauptsynagoge in der Domerschulstraße wurde 1956 wegen Sicherheitsmängeln abgerissen. Die heutige Synagoge im alten Gemeindezentrum wurde 1970 eingeweiht.

"Würzburger Orthodoxie"

Link-Tipp

Einen ausführlichen Überblick über die jüdische Gemeinde in Würzburg finden Sie unter:

Würzburg versteht sich als traditionelle Gemeinde orthodoxer Ausrichtung, die sich dennoch nicht dem religiösen Fortschritt verschließt. Diese Verbindung von Tradition und geistiger Aufgeschlossenheit geht auf den weltberühmten Rabbiner Seligman Bär Bamberger (1807-1878) zurück und ist als "Würzburger Orthodoxie" bekannt geworden. Und so wird auch der Gottesdienst nach den strengen Regeln durchgeführt: Die Frauen sitzen in einem kleinen Nebenraum der Synagoge und verfolgen die Zeremonie durch einen Vorhang.

12 Kilometer zu Fuß: "Pilgerreisen" zum Gottesdienst

Obwohl es mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist, kommen freitags auch viele Gemeindemitglieder aus der Umgebung zum Abendgottesdienst nach Würzburg. Mit Beginn des Schabbat sind ihnen nach der Halacha alle Aktivitäten untersagt - also auch das Autofahren.

Würzburgs Rabbiner Jakov Ebert | Bild: BR

Würzburgs Rabbiner Jakov Ebert

So bleiben für weite Strecken nur das Fahrrad oder die öffentlichen Verkehrsmittel - Ausnahmen, die die Gemeinde gestattet. Mancher macht sich nach dem gemeinsamen Abendessen sogar noch zu Fuß auf den Heimweg in den zwölf Kilometer entfernten Nachbarort - oftmals zu später Stunde.

"Shalom Europa" - eine neue Initiative

Jüdisches Museum Shalom Europa in Würzburg

Die vielen neuen Gemeindemitglieder aus Osteuropa stellen die Gemeinde vor eine schwierige Herausforderung: Die wenigsten sind mit der jüdischen Religion vertraut und müssen erst an die über Jahrhunderte gewachsene Tradition der Gemeinde herangeführt werden. Neben Religions- und Förderunterricht, Deutschkursen und Kulturveranstaltungen ist die soziale Betreuung zu organisieren. Vorhandene Räume und Einrichtungen reichten nicht mehr aus. Um die vielfältigen neuen Aufgaben zu bewältigen, wurde 1998 "Shalom Europa" gegründet. In diesem Initiativkreis haben sich Personen des öffentlichen Lebens zusammengeschlossen, um die Gemeinde zu unterstützen.

"Shalom Europa" ist auch der Name des neuen Gemeinde- und Kulturzentrums, das in enger Zusammenarbeit mit dem Initiativkreis in Würzburg entstanden ist. Der Name ist Programm: Man will den Blick ganz bewusst nach Europa richten: Die Stadt soll zu einem internationalen Treffpunkt für jüdisches Leben werden. Das Zentrum hat einen Gemeindesaal für 400 Besucher, ein Jugendzentrum, ein jüdisches Museum, eine umfangreiche wissenschaftliche Bibliothek und ein Dokumentationszentrum für jüdische Geschichte und Kultur.

Vertreibung aus den Städten

Während Würzburg heute der Mittelpunkt jüdischen Lebens in Unterfranken ist, war die Situation vor 300 Jahren genau umgekehrt: Im 17. Jahrhundert wurden die Juden aus den großen deutschen Städten vertrieben - so auch aus Würzburg - und siedelten sich auf dem Land an. Es entwickelten sich jüdische Inseln in zahlreichen kleinen ländlichen Gemeinden - zum Beispiel in Heidingsfeld. Um Würzburg findet man noch heute in Orten wie Hainsfarth, Unter-Altertheim oder Wenkheim Spuren jüdischen Lebens.

Veitshöchheim - Spuren einer fränkischen Landgemeinde

Auch Veitshöchheim war ein typisches Beispiel für eine Landjudengemeinde: Dort wurde die ehemalige jüdische Synagoge nach Fotografien von 1926 originalgetreu wiedererrichtet. 200 Jahre lang waren in Veitshöchheim orthodoxe Gottesdienste abgehalten worden. Im 19. Jahrhundert zogen die Juden aufgrund sich verbessernder Bedingungen wieder verstärkt in Städte.

Tora-Schrein der Synagoge Veitshöchheim | Bild: BR

Tora-Schrein in der Synagoge Veitshöchheim bei Würzburg

Als die Gemeinde 1938 nur noch zwölf Mitglieder zählte und sie für den Unterhalt der Synagoge nicht mehr aufkommen konnte, musste sie sie zum Dumping-Preis von 200 Reichsmark verkaufen. Die Synagoge sollte zum Feuerwehrhaus umgebaut werden - diesem Umstand war es zu verdanken, dass sie in der Pogromnacht 1938 verschont blieb.

Nachdem sich die rechtliche Situation für die Juden im Zuge der Aufklärung verbesserte, hatte Würzburg an der Wende zum 20. Jahrhundert mit 2.467 die bis dahin höchste Zahl an jüdischen Einwohnern. Noch 1933 lebten mehr als 2.000 Juden in Würzburg. Die Shoa überlebten nur ganz wenige: Nach dem Krieg kehrten 21 Juden aus dem KZ Theresienstadt zurück. Dazu kamen 38 jüdische "Displaced Persons" (DPs) - Menschen, die durch die Politik der Nazis und den Krieg sozial entwurzelt und politisch rechtlos wurden. Gemeinsam bauten sie die Gemeinde neu auf.


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