Kultur - Literatur


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Franz Kafka Leben und Werk

Stand: 02.09.2011 | Archiv

Kafkas zeitweiliges Wohnhaus (links in blau) | Bild: picture-alliance/dpa

Aus Geburtstagen macht er sich nicht viel. Wer den 3. Juli in seinen Tagebüchern sucht, findet den Autor meist übers Lesen, Schreiben oder Nichtschreiben schreibend: Literatur, scheint's, war ihm alles. Oder sollen wir Max Brod glauben? Kein Wolkenkopf - "ganz anders war er. Für alles Neue, Aktuelle, Technische interessierte er sich". Wahrscheinlich fügt sich eins zum anderen - so, wie Kafka den Freund 1909 zu einer Flugvorführung in Brescia begleitet, um danach die wohl erste literarische Schilderung eines "Aeroplans" zu verfassen.

Die Selbstverleugnung des Außenseiters

Kafka | Bild: picture-alliance/dpa

Franz Kafka mit den Schwestern Elli und Valli

Zur Welt kommt Kafka als Sohn des Galanteriewarenhändlers Hermann Kafka und seiner Frau Julie in Prag. Als Jude und Deutscher gehört er gleich zwei Minderheiten an. Die Eltern sind streng und fleißig, der Junge ängstlich und sich selbst überlassen. "Schimpfen, Drohen, Ironie, böses Lachen und, seltsamerweise, Selbstanklage" sind die Erziehungsprinzipien des Vaters. Drohen klingt so: "Dich zerreiß' ich wie einen Fisch!"

Sobald Franz schreiben kann, schreibt er - um alles bald wieder zu vernichten. Erst 1919 verfasst er seinen "Brief an den Vater", eine Abrechnung, die er nie abschickt. Sein erster erhaltener Text ist "Beschreibung eines Kampfes" von 1904. Er erscheint posthum. Gerne hätte Franz Kafka Germanistik und Kunstgeschichte studiert, erwägt auch einmal, nach München durchzubrennen; fügt sich dann doch dem Willen des Vaters, wird Jurist und bleibt in Prag

1906 promoviert er bei Hermann Weber, dem Bruder Max Webers, und absolviert das obligatorische Praktikumsjahr am Gericht. Danach schluckt ihn das Versicherungswesen: "Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen" heißt das Unternehmen, das ihn von 1908 bis 1922 ernährt und über die Maßen beschäftigt.

Maschinen, Träume und Papier

Das Wortungetüm entspricht den Örtlichkeiten, die Kafka jetzt inspiziert: Fabrikarbeit ist zu seiner Zeit schmutzig, laut und oft lebensgefährlich. Kafka verfasst als "Versicherungsschriftsteller" Rechenschaftsberichte, erarbeitet Vorschläge, um Arbeitsunfälle zu verhindern, und sammelt Stoff für Alpträume, die Literatur gebären: Die Todesmaschine der "Strafkolonie", das Unterdeck des Auswanderschiffs aus "Amerika". 

Neue Arbeitswelt: Fabrikhalle 1911

Nicht weniger als die Dreckarbeit der Arbeiter bedrückt Kafka die eigene, sterile Büroexistenz: Mit der Disziplin, die ihm der Vater anerzogen hat, zwingt er die inneren Wirbelstürme in Schubladen, Arbeitsabläufe, Hierarchien und ein starres, von der Bürouhr bestimmtes Zeitraster. Immer wieder aber bricht das Schreiben durch: 1912 verfasst er in einer einzigen Marathonsitzung "Das Urteil". 

Freunde, Frauen, Klavierspielerzehen

Die letzte Arbeitsminute ist ihm "Sprungbrett der Lustigkeit": Kafka schwimmt in der Moldau, spaziert durch die Stadt, verkehrt im Café Arco und dem Continental, sieht überraschend sentimentale Kinofilme. Zeitlebens ist er von wenigen, aber treuen Freunden umgeben: Paul Kisch, Fritz Weltsch, Oskar Baum und natürlich Max Brod. Ebenso von Frauen, die oft so schön sind wie ihre Namen: Felice Bauer, Milena Jesenská, Alice Herz-Sommer, Dora Diamant.

Schon als er 16 ist, schwärmt eine Strandbekanntschaft von seinen langen Zehen, die "mindestens Klavierspielen können müssen". Mehrfach lässt sich Kafka ein, liebt die Frauen aber lieber aus der Distanz. An Felice Bauer, mit der er sich zweimal ver- und wieder entlobt, schickt er bis zu dreimal täglich Briefe, in denen seine Bindungs- und seine Schreibangst wilde Gefechte vollführen.

"Als ich am 13. VIII zu Brod kam, saß sie bei Tisch und kam mir doch wie ein Dienstmädchen vor. Ich war auch gar nicht neugierig darauf, wer sie war, sondern fand mich sofort mit ihr ab. Knochiges leeres Gesicht, das seine Leere offen trug. (...) Fast zerbrochene Nase. Blondes, etwas steifes, reizloses Haar, starkes Kinn."

Franz Kafka, Tagebuch, 20.8.1912

Der lange Abschied

Seine Arbeit verrichtet er dabei immer gut. Zu gut - sie lässt ihn nicht los. So bleibt der Krieg dem widerstrebend "Unabkömmlichen" erspart. Stattdessen erkrankt er 1917 an Lungentuberkulose, wofür er die Beziehung zu Felice verantwortlich macht, und zieht zu seiner jüngsten Schwester Ottla nach Zürau. Die Versicherungsanstalt - als wollte sie Kafkas böse Ironie imitieren - verweigert ihrem Angestellten unter Verweis auf sein tadelloses Musterungsattest die ersehnte Freistellung. Gleichwohl entstehen von 1915 bis 1922 zentrale Werke: Die Verwandlung, Der Prozess, Ein Landarzt und Teile von Amerika/Der Verschollene.  

Grab der Familie Kafka in Prag

1922 darf Kafka in Vorruhestand, was er gleichermaßen als Sieg und Niederlage empfindet. 1923 zieht er nach Berlin, wo er mit der Kindergärtnerin Dora Diamant zusammenlebt. Dann greift die Tuberkulose auch den Kehlkopf an. Er kann kaum noch sprechen, nur unter Schmerzen essen und trinken. Am 3. Juni 1924 stirbt er im Lungensanatorium Kierling bei Wien. Die Welt aber fängt erst an, ihn zu entdecken.

"Er schrieb die bedeutendsten Bücher der jungen deutschen Literatur. Sie sind wahr, nackt und schmerzhaft, voll trockenen Hohns und sensibler Sicht eines Menschen, der die Welt so klar erblickt hat, dass er es nicht ertragen konnte und sterben musste."

Milena Jesenská über Kafka


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