Kultur - Film und Serie


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Filmregisseur Michael Verhoeven im Porträt Der Mann für die vernachlässigten Themen

Tabuisierte Nazi-Vergangenheit, Transsexualität, die Liebe eines katholischen Pfarrers - der in München lebende Filmregisseur und Schauspieler Michael Verhoeven hatte nie Berührungsängste bei "schwierigen" Themen. Am 5. Juli erhält der 73-Jährige, der mehr als 30 Filme drehte, den "Bernhard-Wicki-Filmpreis Die Brücke".

Stand: 26.06.2012 | Archiv

Michael Verhoeven 2005 | Bild: picture-alliance/dpa

Schon zu Beginn seiner Karriere als Regisseur sorgt er für einen Paukenschlag. 1970 dreht er "o.k.", seinen fünften Film, eine experimentelle Arbeit gegen den Vietnamkrieg. Auf der Berlinale löst sie einen Eklat aus. Der US-amerikanische Jury-Präsident George Stevens, Filmemacher und ehemaliger Offizier, fühlt sich brüskiert. Daraufhin soll "o.k." zunächst als deutscher Wettbewerbsbeitrag aus dem Programm gestrichen werden. Doch die meisten anwesenden Regisseure solidarisieren sich mit Verhoeven und ziehen ihrerseits ihre Filme zurück.

Eklat auf der Berlinale 1970 wegen Verhoevens Film "o.k."

Die Jury gibt entnervt auf, die Berlinale wird - zum bisher einzigen Mal - abgebrochen. Die Juroren der deutschen Filmförderung denken anders: Ein Jahr später wird "o.k." der Bundesfilmpreis zuerkannt.

Vom Dr. med. zum Filmregisseur

Danach konzentriert sich Verhoeven voll aufs Filmemachen, 1973 gibt er den Arztberuf - er hat 1969 zum Dr. med. promoviert - auf. Mit seiner Rolle in "o.k." beendet der 1938 in Berlin geborene Spross einer Film- und Theaterdynastie vorerst auch die Schauspielerei. Als 16-Jähriger hatte er in "Das fliegende Klassenzimmer" (1954) debütiert. Es folgten unter anderem Auftritte in "Der Pauker" (1958), "Keine Nacht ist ohne Morgen" (1962), "Das Haus in Montevideo" (1963) und "Lausbubengeschichten" (1964).

Seit 1966 mit der Schauspielerin Senta Berger verheiratet

Große Beachtung findet Verhoeven 1977 durch seinen Film "Gefundenes Fressen" mit Heinz Rühmann und seinem damaligen Schwager Mario Adorf, der zu jener Zeit mit Verhoevens Schwester Lis verheiratet ist. Der endgültige Durchbruch kommt mit "Die weiße Rose", in der er die Geschichte der gleichnamigen Münchner Studentengruppe, die im Untergrund gegen Hitler agitierte, erzählt. 1982, als der Film herauskommt, hat das Thema Nationalsozialismus längst noch nicht die mediale Konjunktur, die es heute hat.

Stöbern im braunen Nachkriegssumpf

Widerstand gegen das Nazi-Regime ist auch Thema seines Films "Das schreckliche Mädchen" (1990): Sonja, gespielt von Lena Stolze (auch Sophie Scholl in "Die weiße Rose"), nimmt an einem Aufsatzwettbewerb "Meine Heimatstadt im Dritten Reich" teil und versucht, nach lokalen Kämpfern gegen die braunen Machthaber zu suchen. Doch in der Kleinstadt will man davon nichts wissen, Sonja stößt auf Feindseligkeit. Die Geschichte basiert auf dem Fall der Anna Elisabeth Rosmus, die nach ähnlichen, ebenfalls zunächst blockierten Recherchen in Passau herausfand, dass nicht wenige Persönlichkeiten der Stadt aktive Nazis waren. "Das schreckliche Mädchen" wird für den "Oscar" in der Kategorie "Bester ausländischer Film" nominiert.

Aufsehen erregt auch 1993 Verhoevens TV-Produktion "Eine unheilige Liebe", in dem es um die Zuneigung eines jungen Pfarrers zu einer Kunstlehrerin geht. 1999 nimmt sich Verhoeven eines im Film ansonsten kaum bearbeiteten Themas an: Transsexualität. Der ARD-Film "Enthüllung einer Ehe" schildert das Schicksal eines verheirateten Lehrers mit nicht eindeutiger geschlechtlicher Identität.

Hüter der alten Kinos

Kino "Toni" am Berliner Antonplatz in einer Aufnahme von 1990

Für das Fortbestehen des Kinos sorgt Verhoeven auf eine besondere Art, in dem er sich die Rettung traditionsreicher Häuser auf die Fahnen geschrieben hat. So besitzt Verhoeven seit 1992 das "Toni" am Berliner Antonplatz und seit 1995 das "Filmtheater am Friedrichshain" im Bezirk Prenzlauer Berg.

Filme und Auszeichnungen

Verhoeven als Regisseur

1967: Paarungen (auch Drehbuch)
1968: Engelchen macht weiter – hoppe, hoppe Reiter
1969: Der Bettenstudent oder: Was mach' ich mit den Mädchen?
1969: Der Kommissar - Dr. Meinhardts trauriges Ende
1970: o.k. (auch Drehbuch)
1970: Wer im Glashaus liebt … (Der Graben) (auch Drehbuch)
1972: Tatort Kressin und der Mann mit dem gelben Koffer
1973: Sonja schafft die Wirklichkeit ab oder… ein unheimlich starker Abgang (auch Drehbuch)
1974: Krempoli - Ein Platz für wilde Kinder (zehnteilige Fernsehserie) (auch Drehbuch)
1976: MitGift (auch Drehbuch)
1977: Gefundenes Fressen (auch Drehbuch)
1978: Gutenbach
1980: Am Südhang (auch Drehbuch)
1980: Die Ursache (auch Drehbuch)
1980: Sonntagskinder (auch Drehbuch)
1982: Die weiße Rose (auch Drehbuch)
1982: Die Mutprobe (auch Drehbuch)
1983: Liebe Melanie
1986: Killing Cars (auch Drehbuch)
1987: Gegen die Regel
1988: Semmelweis, Ignaz - Arzt der Frauen (auch Drehbuch)
1989: Die schnelle Gerdi (sechsteilige Fernsehserie) (auch Drehbuch)
1990: Das schreckliche Mädchen (auch Drehbuch)
1990: Schlaraffenland (auch Drehbuch)
1993: Eine unheilige Liebe (auch Drehbuch)
1995: Mutters Courage (auch Drehbuch)
1999: Zimmer mit Frühstück
2000: Enthüllung einer Ehe (auch Drehbuch)
2004: Die schnelle Gerdi und die Hauptstadt (6-teilige Fernsehserie) (auch Drehbuch)
2005: Tatort - Die Spieler
2006: Der unbekannte Soldat (auch Drehbuch)
2008: Bloch - Vergeben, nicht vergessen
2008: Menschliches Versagen (auch Drehbuch)

Verhoeven als Darsteller

1954: Das fliegende Klassenzimmer
1955: Marianne
1958: Der Pauker
1963: Das Haus in Montevideo
1964: Lausbubengeschichten
1965: Tante Frieda - Neue Lausbubengeschichten
1965: Die fünfte Kolonne (Fernsehserie) - Folge: Blumen für Zimmer 19
1969: Der Kommissar - Dr. Meinhardts trauriges Ende
1970: o.k.
1971: Der Kommissar - Kellner Windeck
2004: René Deltgen - Der sanfte Rebell (TV-Dokumentation / Auftritt als Zeitzeuge)

Auszeichnungen

1971: Filmband in Gold (Drehbuch) für "o.k."
1975: Goldene Kamera (Regie) für "Die Herausforderung"
1981: Arles: Französischer Kritikerpreis für "Sonntagskinder"
1982: Amiens: Grand Prix für "Sonntagskinder"
1982: Internationales Filmfestival Karlovy Vary: Rose der Antifaschisten für "Die weiße Rose"
1983: Filmband in Silber für "Die weiße Rose"
1983: DAG-Fernsehpreis in Gold für "Die Mutprobe"
1990: Silberner Bär auf der Berlinale 1990 für "Das schreckliche Mädchen"
1991: Oscar-Nominierung für "Das schreckliche Mädchen"
1998: Josef-Neuberger-Medaille des Zentralrats der Juden in Deutschland
1999: Bundesverdienstkreuz
2002: Bayerischer Verdienstorden
2003: Medaille "München leuchtet" in Gold
2005: Goldener Ochse - Ehrenpreis des Filmkunstfestes Mecklenburg-Vorpommern an Senta Bergers und Michael Verhoevens Sentana-Filmproduktion
2005: Marion-Samuel-Preis der Stiftung "Erinnerung" für das Gesamtwerk
2006: "Achievement Award" des Jüdischen Filmfestivals (Jerusalem) für seinen "beständigen Einsatz gegen den Nationalsozialismus"
2007: Ehrenpreis des Bayerischen Filmpreises
2009: Ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
2009: Herbert-Strate-Preis der Filmstiftung NRW und des Kinoverbands HDF Kino


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