Bayern 2 - Das Kalenderblatt


0

18. Juni 1896 Die ersten Dosenwürste

Sie sind bleich, labbrig, und: sie sind stillos. Trotzdem waren Dosenwürste mal eine sehr praktische Erfindung. Die ersten 40.000 Würste, die am 18. Juni 1896 bereit standen, fanden jedenfalls dankbare Esser.

Stand: 18.06.2014 | Archiv

18 Juni

Mittwoch, 18. Juni 2014

Autor(in): Gregor Papsch

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Julia Zöller

Von Weinliebhabern ist bekannt, dass sie sich in einer uns fremden Sprache verständigen. Weine schmecken "seidig" und "stählern", erinnern "beim Abgang" an "frisch gemähtes Gras" oder an "den Schweiß von durch feuchte Böschungen sich schlagendem Schwarzwild".

Von Wurstliebhabern ist Derartiges nicht überliefert. Aber auch sie haben sich in Gemeinden versammelt. Ihre Mitglieder testen Würstchen und berichten darüber im Internet. Die Absenderin "Punk Lady" dichtet etwa: "Das Fleisch und das Brät mit seiner perfekten Würzung schmecken gut, fleischig, knackig, vor allem sind sie nicht zu lasch, ein harmonischer, abgerundeter Geschmack."

Gestank aus der Dose

Die Hauptstadt der Dosenwurst ist Halberstadt. Hier erblickte sie vor mehr als hundert Jahren weniger das Licht als vielmehr das Dunkel der Welt. Ihr Vater ist der Unternehmer Friedrich Heine, der sein Geld anfangs mit dem Straßenverkauf von Würstchen verdiente. Immerhin kam dabei so viel zusammen, dass er im Jahr 1883 eine bescheidene Wurstfabrik gründete.

Dann hatte er eine Idee: In Braunschweig verkauften sie Spargel in Blechbüchsen, das sollte doch auch mit der Wurst funktionieren! Jahrelang experimentierte Heine in seinen Fleischlabors herum. Schließlich, im Jahr 1895, kredenzte er dem Fürsten von Wernigerode, einem Freund und ausgemachten Schlemmer, die ersten Würstchen in der Blechbüchse. Das Ergebnis war vernichtend. Der Gestank aus der Dose verschlug dem Fürsten den Atem.

Heine wähnte sich schon am Ende, da kam unerwartet der Auftrag seines Lebens. Seine leibhaftige Majestät, Kaiser Wilhelm II., orderte zur Einweihung des Kyffhäuserdenkmals 40.000 Paar Würstchen für die geladene Prominenz. Natürlich viel zu viele um sie frisch zu produzieren.

Wieder stopfte Heine tausende Würste in Dosen, auf Gedeih und Verderb. Am 18. Juni 1896 harrten 40.000 Paar Würstchen auf den Zubiss der versammelten Gesellschaft. Leider schlug ein Platzregen die Besucher in die Flucht, und Heine blieb auf seinen Konservenbergen sitzen.

Barrique-Wurst

Aber welch Wunder: die Würstchen blieben frisch! Heine hatte die richtige Kombination von Blechstärke, Festigkeit der Wurst, Rauch und Temperatur gefunden. Und als noch niemand vom Kühlschrank sprach, traten Friedrich Heines Dosenwürstchen den Siegeszug an. Schon 1901 produzierte das Unternehmen jeden Tag 10.000 Würste, die fortan mit Pferdekutschen ausgeliefert wurden.

Was macht das blasse Dosenwürstchen so unwiderstehlich? Vielleicht doch vor allem die Verpackung? "Die Blechdose ziert eine Papierbanderole" schreibt "Punk-Lady" im Web-Wurstforum, "und man bekommt die Dose nur mittels Öffner auf, aber mit einem guten geht es allemal ohne Probleme."

Ähnliches ließe sich übrigens auch über eine Flasche Wein sagen, was den Schluss zulässt: Wurst- und Weinliebhaber sind sich näher als vermutet. Bis zum Jahrgangswürstchen in der Dose, zur Wurst à la Barrique, über Eichenholz geräuchert, ist es nur noch eine Frage der Zeit. Und von der "lecker Wurst" spricht dann niemand mehr, von der "wursttypischen Schweinenote" aber ganz bestimmt!


0