Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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14. August 1933 Den "Ballonauten" geht der Ball kaputt

Ein erstaunliches Vehikel rollte Anfang der 30er Jahre durch Deutschland: hölzern, rund, ein Riesenfußball. Gezogen und geschoben von jungen Kerlen, unter Strapazen, tausende Kilometer, bis zum tragischen Ende am 14. August 1933.

Stand: 14.08.2014 | Archiv

14 August

Donnerstag, 14. August 2014

Autor(in): Christian Feldmann

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Julia Zöller

Wären die zwei Sportsfreunde vom 1. FC Regensburg an diesem verregneten Wochenende im Jahr 1926 nicht ins Kino gegangen, wären sie wohl nie auf die völlig verrückte Idee mit dem Riesenfußball gekommen - und nicht berühmt geworden. Denn damals flimmerte vor dem Hauptfilm ja noch die Wochenschau über die Leinwand, und man sah zwei amerikanische Boxer ein gigantisches Fass durch deutsche Städte und Dörfer rollen, weil sie eine Wette gewinnen wollten.

Zwölf Zentner-Kugel

Sechs Jahre später, 1932, erinnerten sich die beiden Fußballer, der Bäcker Jakob Schmid und der Hafenarbeiter Franz Perzl, an die Wochenschau, die sie einst so beeindruckt hatte. "Komm, so was machen wir auch!" sagte der eine zum andern. Die beiden waren gerade arbeitslos geworden - zwei von sechs Millionen in Deutschland -, und sie fanden es schrecklich, stempeln gehen zu müssen und von der "Stütze" zu leben, statt sich ihr Wurstbrot und ihr Bier auf kreative Weise selbst zu verdienen. Einen gigantomanischen Fußball wollten sie bauen, mit zwei Metern Durchmesser und zwölf Zentner schwer, das sind 600 Kilo.

Und das Tollste: Sie bauten das Riesending tatsächlich, zusammen mit einem amüsierten Wagnermeister, aus 600 Erlenholzteilen. Zwei stabile, parallel laufende Eisenringe hielten den Ball in der Spur. Im Innern wurden Kisten mit Lebensmitteln, ein Spirituskocher, Kleidung zum Wechseln und zwei gemütliche Matratzen verstaut. Weil das Innenleben auf Kugellagern ruhte, drehte es sich nicht mit, wenn der Ball durch die Lande rollte: sage und schreibe dreieinhalbtausend Kilometer, von Bayern bis zur Ostseeküste, zurück ins Alpenvorland und wieder in Richtung Norden. Am 10. Mai 1932 startete das Unternehmen in Regensburg.

Um das ernüchternde Ergebnis vorweg zu nehmen: Schmid und Perzl wurden nicht berühmt - jedenfalls damals nicht. Obwohl sie sportliche Höchstleistungen vollbrachten, zum Beispiel beim Bezwingen des 1500 Meter hohen Wallbergs im Tegernseer Land. Zentimeter für Zentimeter schoben die beiden das Ungetüm von Ball den steilen, steinigen Bergpfad hinauf, mehr als zehn Tage brauchten sie dazu, als die Schuhe kaputt gingen, lief, besser gesagt kroch Schmid eben strumpfsockert weiter.

Aber die meisten Passanten, denen sie auf ihrer Deutschlandreise begegneten, griffen sich bloß ans Hirn, für querköpfige Individualisten hatte man im beginnenden Dritten Reich wenig übrig. Die Ansichtskarten, die sie an den Haustüren und im Wirtshaus anboten, verkauften sich schlecht.
Nach 15 Monaten und dreieinhalbtausend Kilometern dann die Katastrophe:
Bei Ellwangen brach die Riesenkugel am 14. August 1933 auseinander, die Reise war zu Ende.

"Ballonauten" Teil 2

Doch nein, die Träumer wurden doch noch berühmt, fast achtzig Jahre später: Der Regensburger Autor und Filmemacher Hubertus Wiendl fand auf einem Speicher das verstaubte Reisetagebuch mit hochinteressanten Notizen aus
Nazi-Deutschland: Schmid und Perzl äußern sich lobend über die von der SA betriebenen Suppenküchen, registrieren aber auch Straßenschlachten zwischen Hakenkreuzlern und Kommunisten. Wiendl war elektrisiert. Er gab den Erfindern von damals den klingenden Namen "Ballonauten", baute den Zwölf-Zentner-Ball originalgetreu nach; und jetzt will er ihn auf Deutschlandreise schicken, gezogen von einem Wohnmobil und mit einem höchst ehrenwerten pädagogischen Motiv: Schulen und Sportvereine sollen darüber nachdenken, wie leicht ein von Finanzkrisen, Arbeitslosigkeit und Politikmüdigkeit erschütterter Sozialstaat zur mörderischen Diktatur werden kann.


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