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Neu im Kino Die Doku "Vienna Calling" über die Wiener Musikszene macht urgute Laune

Regisseur und Filmemacher Philipp Jedicke reiste aus Köln nach Wien, um dort die aktuelle Wiener Musikszene einzufangen: Voodoo Jürgens, der Nino aus Wien, Kerosin95 und EsRap treten auf und zeichnen ein neues und altes Musikbild der Stadt.

Von: Johanna Hintermeier

Stand: 04.12.2023

Szenen aus der Doku "Vienna Calling" von Philipp Jedicke | Bild: Filmladen

In den ersten Minuten der Doku "Vienna Calling" wird klar: dieser Film wird glücklich machen. Es hätte aber auch anders kommen können. Denn: ein Film über die Wiener Musikszene von einem Westdeutschen, das schreit nach Klischeekiste die die Wiener idealisiert und nicht über Stereotypen über verrauchte Beisel und Alkohol-Exzesse hinauskommt. Doch der Kölner Regisseur Philipp Jedicke und sein österreichisches Team haben eine urkomische Hommage an die Wiener Musik geschaffen. Sie begleiten die Stars und solche, die es sicherlich werden. Sie zeigen die vielfältigen Stile und berühmte Orte der Szene. Wer Musikgeschichte, die Player und Venues im Detail kennenlernen will, wird nicht fündig werden, aber der Film erzählt durch seine starken Bilder und seinen Humor genug.

Statt Falco taucht Falcos Friseur auf

Österreichische Sounds liegen popkulturell seit Jahren im Trend. Austro-Pop 2.0 ist über die Landesgrenzen hinaus so gefragt wie seit Falco nicht mehr. Die Wiener Legende darf nicht mitsingen, erst im Abspann erklingt er. Dafür treffen wir Falcos Friseur. Der schneidet heute dem Nino aus Wien die Haare. Und damit sind wir mittendrin in der komödiantischen, satirischen Szenerie des Films.

"Erst einmal hat man ihn nicht gekannt: braun, schlank, kleine goldene Rolex - und er ist hinten im Mix-Kammerl gesessen und hat Mickey Mouse-Hefteln gelesen. Da hat er zu mir gesagt, er nimmt das Leben nicht zu ernst. Woast eh: ich kann nicht singen und du kannst nicht Haare schneiden."

Falcos Friseur

Nino und der Friseur performen ein Musikvideo im „Shaby Schnitt Vintage Saloon“. Diese Musicalszenen wurden extra für den Film mit den  Künstler:innen entwickelt, wie der Regisseur uns im Frühjahr erzählt. Auch Lydia Haider, die bekannte Schriftstellerin mit ihrer literarisch-liturgisch Band gebenedeit performen schaurig-schräg im düsteren Kanalsystem zu Kerzenlicht und Spinnweben-Deko.

"Es ist das ewige Erbarmen, dass alles Denken übersteigt"

gebenedeit

Es gibt keinen großartigen roten Faden im Film, den braucht es auch nicht. Bands und Künstlerinnen werden in den Pandemiejahren 2020 und 2021 begleitet, beim Proben, Saufen, mit ihren Familien, beim Schafe scheren und bei ihren Auftritten.

Auch mit dabei: die austro-türkischen Geschwister Esra und Enes – sie rappen unter dem Namen EsRAP. Esra will Bezirksvorsteherin oder gleich Bürgermeister von Ottakring werden, der Arbeiter:innen-Bezirk in Wien. Bekannt auch für das Bier Ottakringer, "16er Blech" genannt, wegen dem 16. Bezirk der Hauptstadt. Das Bier wird im Film übrigens genauso oft getrunken wie Augustiner – die österreich-bavarische Freundschaft scheint im Alkohol zu leben! Wir sehen eine Musikszene, die mit ur-Wiener Kultur und Eigenheiten kokettiert. Und wir sehen die großen gesellschaftspolitischen Themen in der Musik: Verkörpert auch von der Transmusiker:in Kerosin95. Kerison steht für eine neue, queere Generation der Musikszene steht. Allerdings hat sich Kerosin95 gerade aus der Öffentlichkeit rausgezogen, um "gesund zu werden".

"Mich machen viele Sachen wütend, keine Ahnung, zum Beispiel das Patriachat oder irgendwelche transfeindlichen Arschlöcher!"

Kerosin95

Auch die Schriftstellerin Stefanie Sargnagel kommt zu Wort in "Vienna Calling und" erklärt noch mal grundlegend das Verhältnis zwischen Österreichern und Deutschen:

"Als Wiener fühlt man sich Osteuropa doch einfach näher als Deutschland. Die Deutschen sind eher so ein unheimliches, großgewachsenes Volk, sie haben so etwas Nordisches, das man kulturell gar nicht richtig versteht. Cevapcici, Kaffeehaus sitzen, k.u.k. – sowas versteht man." Stefanie Sargnagel

Andersrum gilt das sicher nicht. Man muss den Deutschen ja geradezu eine Versessenheit mit der Wiener Kulturszene im Allgemeinen attestieren. Stefan Redelsteiner ist Manager von Wanda und damit Experte für die Vermarktung der rot-weißen-Ekstase:

"Das Abenteuerland Wien, das sehen wir gar nicht so. Aber wenn die Deutschen es wollen und sie herkommen, und wir sollen ihnen diese Show liefern, dann macht man es halt, weil man höflich ist. Aber in Wahrheit haben wir einen Riesen Rock’n’Roll Schwindel fabriziert. Wir haben ein Disneyland geschaffen und genau darum geht’s ja in der Pop-Musik, dass man einfach schwindelt. Aber es ist trotzdem wahr, es ist keine Lüge."

Stefan Redelsteiner

Philipp Jedicke

Die Austro-Stars Wanda und Bilderbuch kommen übrigens nicht vor, was dem Film aber keineswegs schadet. Unbekanntere Gesichter wie Samu Casata bekommen dadurch mehr Raum. Teils irritierend ist, dass die Namen der Künstler:innen nur ganz am Anfang gezeigt werden. Wer keine ausgewiesene Kennerin der Szene ist, kann schnell verwirrt sein, wer nun wo warum auf der Bühne steht – das ist schade. Und zwischen Rausch, Musikvideos, und Drohnen-Fahrten über die Stadt, fragt man sich schon, ob Wien wirklich so eine heile Welt ist, in der die Musiker:innen sich so austoben können wie sie wollen. Der Filmemacher Jedicke dazu:

"Es war immer so ein bisschen bei mir das Motto: Let the music do the talking. Dass wir nicht in talking-heads-Situationen über die Probleme reden, sondern dass wir das aus den Songs herausholen. Deswegen ist so wenig in Englisch dabei, weil ich wollte auch diesen Zungenschlag mit dabeihaben." Philipp Jedicke

Vienna Calling: Gute Laune und tolle Musik. Garantiert. Ab dem 16. November im Kino.

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Vienna Calling - Trailer | Bild: Filmladen Filmverleih (via YouTube)

Vienna Calling - Trailer