Bayern 2 - Zündfunk

Autorin Sibel Schick „Die Lösung ist, die Ausbeutung abzuschaffen“

Der Feminismus muss feministischer werden, fordert die Autorin Sibel Schick in ihrem neuen Buch „Weißen Feminismus canceln“. Warum es einen Feminismus braucht, von dem nicht nur weiße Frauen profitieren, sondern alle Menschen, erklärt sie im Interview.

Von: Julia Fritzsche

Stand: 04.10.2023

Autorin und Journalistin Sibel Schick | Bild: Cihan Cakmak

Es braucht eine feministische Bewegung, von der alle Menschen profitieren, findet die Journalistin und Autorin Sibel Schick. Doch davon sind wir weit entfernt. Ihr neues Buch ist eine Analyse des Status Quo. Und ein Plädoyer, wie der Titel erahnen lässt: „Weißen Feminismus canceln“. Was genau damit gemeint ist und wie ein feministischerer Feminismus aussehen würde, erklärt Schick im Zündfunk-Interview mit Julia Fritzsche.

Zündfunk: Sie wollen den weißen Feminismus canceln. Was genau ist eigentlich der weiße Feminismus?

Sibel Schick: Der weiße Feminismus oder die weißen Feminismen – wenn wir von verschiedenen Strömungen sprechen, die aber ähnliche Ziele haben – sind feministische Strömungen, die die Interessen von einer ganz bestimmten Frau vertreten. Diese Frau ist die Norm-Frau. Sie ist weiß, cis-geschlechtlich, akademisiert und hat keine weiteren Marginalisierungen, außer von Sexismus betroffen zu sein. Und das ist ein Feminismus, der von dieser Frau ausgeht. Das führt dazu, dass sie andere, mehrfach marginalisierte Menschen auf ihrem Weg nach oben ausbeutet und weitere Diskriminierungsformen dadurch zustandekommen.

Sie schreiben, dass die großen Strömungen des Feminismus, eben das, was Sie den „weißen Feminismus“ nennen, entscheidende Themenbereiche ignorieren. Welche sind das?

Das sind eigentlich alle Diskriminierungen, die über Sexismus hinausgehen. Wenn wir beispielsweise von Armut sprechen, von Transfeindlichkeit, von Rassismus, von Antisemitismus. Das seien keine Frauenthemen, weil diese Normfrau von all dem nicht betroffen sei. Weil der weiße Feminismus nur den Sexismus als Schwerpunkt setzt und alles andere ausblendet.

Teilen Sie den Eindruck, dass Diversität in großen Teilen des Feminismus schon angekommen ist? Zum Beispiel das Missy Magazine, die sprechen ganz selbstverständlich über Armut, über die Klassengesellschaft, Behinderungen, Rassismus, Mehrfachdiskriminierungen und ihre Wechselwirkungen. Ist das nur eine Bubble und sind Alice Schwarzer, die Emma und Terre des Femmes noch immer so mächtig?

Darüber mache ich mir auch permanent Gedanken. Sie haben jetzt das Wort „Diversity“ ausgesprochen. Diversity ist definitiv angekommen, aber Diversity ist keine Lösung. Das ist halt die Sache. Es wird viel Wert daraufgelegt, dass eine gewisse „Vielfalt“, in Anführungszeichen, herrscht, während sich die Verhältnisse aber kein bisschen ändern. Ich bin so froh, dass es das Missy Magazine gibt, weil sie viel Systemkritik ausüben in diesem Blatt mit wirklich so wenig Ressourcen. Das ist so wichtige Arbeit und das ist genau das, was passieren muss, wenn wir eine gerechte Gesellschaft aufbauen möchten. Und das müssen wir, wenn wir diese permanenten Krisen überleben wollen. Andererseits gibt es aber nicht nur in den Fällen, die Sie genannt haben, Emma, Terre des Femmes, Probleme. Auch in politischen Parteien, in Unternehmen wird sich bemüht, auch Menschen an Bord zu nehmen, die mehrfach marginalisiert sind. Das ist aber alles wirklich ein Theater. Es bringt alles nichts. Es spielt keine Rolle, wenn mehr People Of Color oder anderweitig marginalisierte Personen in einem Großkonzern sind, wenn mehr Frauen in die Chefetage kommen. Es spielt keine Rolle, dass wir diverser ausgebeutet werden. Die Lösung ist, die Ausbeutung abzuschaffen. Und dazu müssen wir uns mit den Strukturen, die dazu führen, auseinandersetzen und sie ersetzen mit besseren, gerechteren Alternativen.

Selbst im Barbie-Film gibt es eine Schwarze Barbie und es wird ein wenig Kritik an der Hetero-Romantik geübt, aber Repräsentation allein reicht halt eben nicht?

Barbie ist ein gutes Beispiel. Egal, ob sie im Rollstuhl sitzt, Schwarz ist oder sonst was, sie ist immer so normschön. Und sie kann nicht anders als normschön zu sein. Und was das macht, welche Folgen diese Schönheitsideale, die durch Barbie implementiert werden, für Betroffene haben, die da nicht reinpassen, darüber wird nicht geredet. Selbst die in Anführungszeichen „dicken“ Barbies sind dünn.

Sie kritisieren, dass große Teile des Feminismus bei Rassismus weggucken, bei Armut, bei Ausbeutung, bei fehlendem Wahlrecht für viele Frauen, die hier ohne deutsche Staatsbürgerschaft leben. Da ist überall Ignoranz. Warum nennen Sie das „weißen Feminismus“ und nicht zum Beispiel „cis-Feminismus“ oder „kapitalistischen Feminismus“?

Man kann diesen Feminismus auch als „cis-“ oder „kapitalistisch“ bezeichnen, das wird auch gemacht. Ich habe das als „weißen Feminismus“ bezeichnet, weil ich als Schwerpunkt im Buch Rassismus gesetzt habe, während ich auch über andere Diskriminierungsformen spreche.

Und was würde den Feminismus weniger weiß machen?

Im Großen und Ganzen muss Strukturkritik ausgeübt und nicht permanent Frauen kritisiert werden, die sich so und so verhalten. Oder gewisse Forderungen, die beispielsweise Arbeit angehen, die aber nur an der Oberfläche kratzen. Wir bleiben sonst einfach da stehen, wo wir sind, und dann sind wir auch noch total überzeugt, dass wir gleichberechtigt und frei wären, während wir das nicht sind.

Also nicht 50 Prozent Frauen in Chefposten fordern, sondern…

…Chefposten abschaffen!