Bayern 2 - Zündfunk

Debatte Schafft die Ehe ab! Oder?!

Brauchen wir das Ende der Ehe? Ja, sagt Emilia Roig, denn Heiraten schwächt finanziell vor allem Frauen und stärkt das Patriachat. Warum sich Menschen trotzdem schon immer das Ja-Wort geben und welche Vorteile die Ehe haben kann.

Von: Nabila Abdel-Aziz

Stand: 24.05.2023

Schwarzweißfoto mit zwei Frauen, die sich küssen | Bild: BR

Eigentlich boomt die Ehe. 390.767 - so viele Eheschließungen gab es laut Statistischem Bundesamt 2022 in Deutschland. Zwar ist auch die Scheidungsrate seit Jahren hoch, trotzdem ist die Ehe als Grundpfeiler der Gesellschaft schwer wegzudenken, doch die Kritik an der Institution wächst. Emilia Roig, Politologin und Autorin fordert in ihrem neuen Buch "Das Ende der Ehe" gar die Abschaffung, seit Wochen schon wird das Buch hitzig diskutiert. Zündfunk-Reporterin Nabila Abdel-Aziz hat sich mit der Geschichte der Ehe auseinandergesetzt. Im Gespräch mit Tobias Ruhland diskutiert sie, ob wir wirklich ein Ende der Ehe brauchen. Oder ob wir sie nicht anders gestalten können.

Tobias Ruhland: Was stimmt denn nicht mit der Ehe?

Nabila Abdel-Aziz: Die Ehe hat in sehr vielen Kulturen patriarchale Wurzeln. Oft ging es darum, die Sexualität von Frauen zu kontrollieren. Sodass Männer zum Beispiel ganz genau wissen, wer das Kind ist und an wen das Erbe geht. Auch in Europa: bis weit über die 1950er Jahre galten verheiratete Frauen nicht als eigenes Rechtssubjekt. Das heißt, sie durften kein Eigentum besitzen, keine Verträge abschließen, und nicht ohne die Erlaubnis ihres Mannes arbeiten gehen. Vieles an der Ehe wirkt heute einfach nicht mehr zeitgemäß, das weiße Kleid oder der Schleier, die Reinheit symbolisieren sollen. Oder auch der Gang zum Altar mit der Übergabe der Braut und das Annehmen des Namen des Mannes, was ursprünglich darauf hindeuten sollte, dass sich die Identität der Frau auflöst, sobald sie heiratet.

Aber das ist heute ja auch nicht mehr zwangsläufig der Fall. Viele Menschen heiraten anders. Warum trotzdem die Kritik?

Natürlich hat sich schon einiges verändert. Es gibt heute die Homo-Ehe. Menschen heiraten anders, also nicht kirchlich und versuchen so, diese patriarchalen Traditionen nicht zu wiederholen. Aber trotzdem gibt es noch viel Kritik. Allen voran Emilia Roig, feministische Autorin und Politologin. Sie fordert, die Ehe nicht zu reformieren, sondern einfach abzuschaffen. Und warum? Sie schreibt in ihrem Buch: "Das Ende der Ehe", dass die Ehe nach wie vor die politische Funktion hat, die allgemein unterlegene Position der Frau zu verklären. Es ginge darum, Frauen finanziell von ihren Männern abhängig zu machen. Zum Beispiel durch Ehegattensplitting. Das macht es für Paare nämlich attraktiv, dass eine Person - meistens die Frau, ihre Lohnarbeit reduziert, sich um die Kinder kümmert und der Mann dafür Vollzeit arbeitet. So werden Paare steuerlich begünstigt. Ehegattensplitting hat sich die CDU nach dem Zweiten Weltkrieg ausgedacht, um Frauen wieder in die Rolle der Hausfrau zu drängen. Emilia Roig erklärt, was der Staat für ein Interesse daran hat, die Ehe und das Ehegattensplitting aufrechtzuerhalten:

"Der Staat hat ein Interesse daran, weil Teile dieser Arbeit wird im Moment umsonst oder weitestgehend umsonst geleistet von Frauen, die in der finanziellen Obhut ihrer Männer sind. Das heißt, wenn diese Arbeit plötzlich sichtbar wäre auf gesellschaftlicher Ebene, dann müsste sich der Staat auch Gedanken machen, wie diese Arbeit finanziert wird"

Emilia Roig

Nabila, lass uns mal noch einen Schritt zurückgehen. Wie kam es denn überhaupt zu dieser Institution Ehe, die uns ja heute so selbstverständlich erscheint?

Die Institution hat wirklich eine sehr, sehr lange Geschichte. Die Ehe, wie wir sie heute kennen, mit weißem Kleid, Eheringen, eine Party mit Hochzeitstorte und Plastikdekoration - natürlich haben die meisten Leute in der Menschheitsgeschichte nicht so geheiratet. Aber die Idee, dass es gut ist, dass Menschen sich einander verpflichten und Verantwortung füreinander übernehmen, scheint universell in fast allen Kulturen für gut befunden worden zu sein. Es gab Ehen in fast allen Kulturen und zu fast allen Zeiten. Nur die Gruppe der Na in China kennt keine Ehe. Ob zwischen zwei oder mehr Menschen, Männern, Frauen, anderen Geschlechtern, in allen Kombinationen und aus ganz vielfältigen Gründen. Es ging um Sex, es ging um Altersvorsorge, politische Verbindungen, Kindeserziehung, Erbregelungen, aber auch um Liebe.

War denn bei der Ehe früher auch immer die Ehe ausschließlich zwischen Mann und Frau gemeint?

Meistens schon, aber nicht unbedingt - das ist echt interessant! Wenn man in die Geschichte schaut, dann gab es so eine Art von Homo-Ehe eigentlich schon immer. Zum Beispiel in Westafrika, wo es weibliche Ehemänner gab, das heißt Menschen, die als Frauen gelesen wurden, die dann zu Ehemännern wurden und andere Frauen geheiratet haben. Ein ganz berühmtes Beispiel ist Kaiser Nero, der Männer in offiziellen Zeremonien geheiratet hat. Es gibt also schon lange Homo-Ehe, aber auch immer schon polygame Ehen. Die sind auch in einigen Ländern legal, zum Beispiel in Kamerun oder Indonesien. Trotzdem sind polygame Ehen die Ausnahme, weil es ganz schön teuer ist, mehrere Familien zu finanzieren und zu unterstützen. Diese Vielfalt der Ehen hat aber irgendwann extrem abgenommen. Und jetzt gibt es global vor allem ein Modell: das christliche Modell.

Welche Schlüsse hast Du aus deinen Recherchen gezogen? Sollte man die Ehe abschaffen oder ist sie reformfähig?

Also ich bin da nach meiner Recherche total zwiegespalten. Es gibt Dinge wie Ehegattensplitting, die unbedingt abgeschafft gehören und die schon lange von Feminist*innen kritisiert werden. Das ist aber auch eine deutsche Besonderheit. In anderen Ländern gibt es Ehegattensplitting nicht. Gleichzeitig muss man auch sagen und das tut auch Emilia Roig, die ja eigentlich für die Abschaffung der Ehe ist, nämlich dass die Ehe Frauen auch schützen kann. Oder die Person, die weniger verdient, was leider meistens noch Frauen sind, die mehr Care-Arbeit gemacht hat, sich mehr um Kinder kümmert und deswegen weniger Lohnarbeit machen kann. Der Person steht die Hälfte des gemeinsam angesammelten Vermögens zu bei einer Scheidung und da sorgt die Ehe schon für einen solidarischen Umgang mit Ressourcen in der ungleichen Gesellschaft, in der wir aktuell leben. Ein anderes Argument für die Ehe macht zum Beispiel die Feministin und Autorin Mithu Sanyal, die sagt: Unser Leben ist durch den Kapitalismus und den Markt bestimmt. Wir brauchen deshalb einen Bereich im Leben wie die Ehe, der geschützt ist für Liebe, für Sorgearbeit, für Verbundenheit und der eben auch vom Staat geschützt wird.