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Düstere Dystopie Die Avantgarde-Elektronik von Fatima Al Qadiri

Ab in die Zukunft: Fatima Al Qadiri zählt zur Speerspitze der Pop-Avantgarde. Ihr Debüt wurde vor zwei Jahren in vielen Blogs und Magazinen zum Album des Jahres gewählt. Nun erscheint mit "Brute" ein würdiger Nachfolger. Ein Porträt.

Von: Julian Weber

Stand: 04.03.2016

Fatima Al Qadiri | Bild: Camille Blanche

Störtöne, der Sound explodierender Tränengaskartuschen, das Sirren einer Alarmanlage und die Stimme eines Polizisten, der eine Demonstration für aufgelöst erklärt: Mit dieser Soundmischung beginnt „Brute“ das außergewöhnliche Album der kuwaitischen Produzentin Fatima Al Qadiri.

"Jedes meiner Alben folgt einem eigenen Rhythmus. Und ich habe beschlossen, dass bei „Brute“ der Rhythmus gar nicht als Stilmittel im Vordergrund stehen soll. Ich wollte in der Musik, im Sound, ein Gefühl von Wut und von Hoffnungslosigkeit erzeugen. Um dieses Gefühl von Düsternis entstehen zu lassen, war Rhythmus gar nicht notwendig. Ich glaube eh nicht, dass Hoffnungslosigkeit groovy ist."

Fatima Al Qadiri

"Brute" von Fatima Al Qadiri erscheint auf dem Londoner Elektronik-Label Hyperdub.

Fatima Al Qadiri ist eine Künstlerin, wie sie exemplarisch für das Zeitalter der Globalisierung steht. Geboren im Senegal, aufgewachsen in Kuwait, ging die heute 34-Jährige 1999 alleine zum Studieren in die USA. In New York absolvierte sie ein Kunststudium und begann dort auch mit dem Musikmachen. Das Londoner Label Hyperdub engagiert sich traditionell für Produzentinnen elektronischer Musik. Es passt perfekt zu dieser kosmopolitischen Künstlerin. Bei Hyperdub erschien 2014 auch Al Qadiris Debütalbum mit dem deutschen Titel “Asiatisch”. Seit kurzem lebt Al Qadiri nun in Berlin. Sie ist eine reflektierte, mit allen Diskurswassern gewaschene Künstlerin, die mit Pop sozialisiert ist, aber ihre Herkunft aus einem Land am Persischen Golf nie vergisst.

"Wenn ich Kuwait mit einem anderen Land vergleichen müsste, würde ich sagen, es ist ein Mini-Amerika. Es gibt Weiße und Schwarze, Kuwait City ist eine Hafenstadt, mit großer ethnischer und religiöser Vielfalt, obwohl die meisten Moslems sind. Es ist eine Handelsmacht, die sich im Ölboom der Sechziger fundamental gewandelt hat. Die Generation meiner Großeltern machte den Schritt vom Mittelalter zur Moderne. Sie sind mit einer Zeitmaschine in der Zukunft gelandet."

Fatima Al Qadiri

Brodelnde, düstere Atmosphäre

Al Qadiris Großvater arbeitete vor 60 Jahren als Sänger auf einem Perlenfischerboot und wohnte in einer Lehmhütte an der Küste. Ihre Eltern erlebten bereits den Wohlstand des Ölbooms. Fatima Al Qadiri verbindet mit Kuwait dagegen weit existenziellere Erfahrungen, die durch den Einmarsch der Iraker geprägt sind. Saddam Husseins Truppen haben das Land 1990 überfallen, der sogenannte Zweite Golfkrieg begann. Ein Ereignis, das Al Qadiris Leben fundamental verändert hat. “Brute” erinnert in seiner monströsen Klangarchitektur an Zeiten im Ausnahmezustand. Nicht zufällig hat sie einen Track “Curfew”, deutsch Ausgangssperre, betitelt. Er ist typisch für die brodelnde, düstere Atmosphäre ihres Albums.

"Mich interessiert der Zusammenhang zwischen Kontrolle, Bewegungsfreiheit und unbefugtem Betreten. Als arabische Frau, besonders als Kuwaiterin, fühlt man sich im öffentlichen Raum immer unbefugt, denn er ist männliches Territorium. Man merkt das an den Reaktionen der Männer. Im Ausnahmezustand und in der Ausgangssperre fühlt sich der öffentliche Raum noch viel bedrohlicher an."

Fatima Al Qadiri

Fatima Al Qadiris Musik orientiert sich auf “Brute” an der Dramaturgie britischer Grime-Musik, an den Klangeffekten von Videospielen und der Tonspur in Horrorfilmen. Auf Gesang verzichtet sie dabei bewusst. Das Entwurzelte ihrer Biografie spiegelt sich im Fragmentarischen ihrer Musik wider. Bis sie damit in den Pop-Mainstream vordringen kann, sagt Fatima Al Qadiri, ist es noch ein weiter Weg.

"Mir würde es nichts ausmachen, wenn ich als Popkünstlerin einsortiert werden würde. Aber ich fürchte, das ist nicht meine Bestimmung. Und ich glaube nicht, dass mein Image einfach zu vermarkten ist. Im Popmainstream der Gegenwart brauchen Künstlerinnen eine Stimme. Nur als Sängerin schafft man es bis ganz an die Spitze. Ich bin zwar Musikerin, aber ich singe nicht. Generell finde ich die Kunstwelt demokratischer als die Welt des Pop. Die Musikindustrie ist stark männlich geprägt, der Gendergap ist enorm."

Fatima Al Qadiri


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