Bayern 2 - Zündfunk

Werk und Autor trennen Chilly Gonzales und Kettcar gemeinsam für "Fuck Wagner"

Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch und der kanadische Pianist Chilly Gonzales sind sich einig, dass man über die Umbennung von Richard-Wagner-Straßen nachdenken soll. Der Grund: Richard Wagner war offen antisemitisch.

Von: Sandra Limoncini

Stand: 23.04.2024

December 6, 2022, Milan, Italy: Canadian musician, songwriter, and producer Chilly Gonzales performs in concert at Teatro Lirico Giorgio Gaber. | Bild: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Mairo Cinquetti

Chilly Gonzales ist nicht nur der selbsternannte Musik-Genie, sondern auch Jude - und Wagner-Fan. Doch Wagner war Antisemit. Gonzales Haltung: Verteufelt die Werke Wagners nicht. Aber er möchte mit seiner Petition erreichen, dass die Kölner Richard-Wagner-Straße umbenannt wird in Tina-Turner-Straße.

Oder noch eine Option: alle Richard-Wagner-Straßen erhalten Namen aus Wagners Werken. Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch findet, dass sei ein Gedankenexperiment wert und unterstützt die Idee des Wahl-Kölners Gonzales. Die Frage, kann man Werk und Autor trennen spaltet seit Jahren Fans der Musik- und Kunstwelt.

Kann man überhaupt Werk und Autor trennen?

Michelangelo Merisi da Caravaggio ist einer der wichtigsten Maler, die es gibt. Bilder des Italieners kosten 150 Millionen Euro und hängen in Museen auf der ganzen Welt. Er ist vermutlich der berühmtesten Barockmaler der Kunstgeschichte und - ein verurteilter Mörder.

Das gleiche gilt für den Bildhauer Benvenuto Cellini, der sich damit brüstet, jahrelang Frauen sexuell genötigt zu haben und sogar drei Leichen im Keller hat. Werden Caravaggios Bilder deshalb aus den Museen entfernt oder die Skulpturen von Cellini aus der Loggia dei Lanzi in Florenz abgebaut oder verhüllt?

Großartige Kunst wird auch von bösen oder moralisch fragwürdigen Menschen gemacht

Die Geschichte hat gezeigt, dass auch große oder großartige Kunst von bösen oder moralisch fragwürdigen Menschen gemacht wird. Würde man Kunst und Werk voneinander trennen bedeutet das ja, dass nur noch makellose und moralisch integre Menschen Kunst machen dürfen. Aber wer entscheidet das? Und wohin würde das führen? Dürfen sich dann nur bestimmte Menschen kreativ äußern? Gäbe es dann ein Berufsverbot für alle, die mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind? Wenn das so wäre, dann gäbe es weder NWA noch Pussy Riot. Und was wäre dann mit Richard Wagner?

Kettcar kommen an die Grenzen des Popsongs

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Kanye in Bayreuth | Bild: Kettcar - Topic (via YouTube)

Kanye in Bayreuth

In dem neuen Album „Gute Laune ungerecht verteilt“ von Kettcar, der Indie-Rock-Combo aus Hamburg, hat sich die Band dem Thema angenommen. In ihrem Song „Kanye in Bayreuth“ seien Kettcar deswegen auch möglicherweise an die Grenzen des Popsongs gekommen, weil darin dieses komplexe Thema verhandelt wird. Kann man also Werk und Autor trennen? Dieses Problem bewegt auch seit Jahren die Redaktion des Zündfunks. Zum Beispiel bei Künstlern wie Morrissey, der in der Redaktion von vielen sehr gemocht wird und sich in den letzten Jahren aber in den sozialen Medien islamfeindlich geäußert hat und aus seiner offenen Sympathie für Rechtsextreme kein Hehl macht.

"Wir haben uns darauf geeinigt, dass Richard Wagner genial ist"

Es gibt aber auch seit Jahren große Diskussionen um den „Ring des Nibelungen“-Komponisten Richard Wagner. Darf man seine Musik wirklich noch mögen oder anhören? In diesem Dilemma stecken aber nicht nur Klassik-Fans, das gilt auch für Pop-Fans. Laut Marcus Wiebusch mache es keinen Unterschied, ob man für Morrissey oder Richard Wagner schwärmt.

"Grundsätzlich haben wir uns als Gesellschaft offensichtlich darauf geeinigt, dass wir Richard Wagner zugestehen, genial zu sein, sonst würden ja nicht jedes Jahr Tausende den grünen Hügel raufstampfen, um Werk und Autor zu trennen, sondern die Menschen tun das, um Wagner zu genießen."

- Marcus Wiebusch, Kettcar Sänger

Chili Gonzales ist Jude und Wagner-Fan

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Chilly Gonzales ft. RTO Ehrenfeld – "F*CK WAGNER" | ZDF Magazin Royale | Bild: ZDF MAGAZIN ROYALE (via YouTube)

Chilly Gonzales ft. RTO Ehrenfeld – "F*CK WAGNER" | ZDF Magazin Royale

Der in Köln lebende Kanadier und Künstler Chilly Gonzales hat eine Petition gestartet, weil er erreichen möchte, dass die Richard-Wagner-Straße in Köln umbenannt wird, in Tina-Turner-Straße. Und wenn das nicht ginge, solle man doch die Straßen nach Wagners Protagonisten aus seinen Werken benennen. Das sagte Chilly noch beim Live-Konzert im März in München. Also statt Richard-Wagner-Straße, Lohengrin- oder Walküren-Straße. Chilly Gonzales ist Jude und Wagner-Fan, aber Wagner war offen antisemitisch. Ein Zwiespalt für den kanadischen Pianisten. Marcus Wiebusch sagte dem Zündfunk, in der Logik, mit der wir Wagner behandeln, soll es doch bitte um die Werke gehen, weil die seien einfach genial:

"Also benennt man doch die Straße nicht nach dem Arschloch, sondern nach dem Werk, ich finde das ist ein kleines Gedankenexperiment."

- Marcus Wiebusch, Kettcar Sänger

Es gibt viele Richard-Wagner-Straßen in Deutschland

Chilly Gonzales am Klavier

Die Petition von Chilly Gonzales, die Kölner Richard-Wagner-Straße umzubenennen, hat bisher knapp 2.000 Unterstützer. Doch selbst wenn sie am Ende erfolgreich sein sollte, bliebe noch viel zu tun. In Deutschland sind insgesamt 632 Straßen nach dem Komponisten benannt.