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Neue Männlichkeit Oh Boy! Woran die Debatte über kritische Männlichkeit krankt

Männer gehen in pinker Kleidung in den Barbie-Film und auch ein cis-Mann bestellt schon mal einen bunten Cocktail. Das ist toll – aber ist das im Jahr 2023 wirklich der Fortschritt, für den wir ihn halten? Der Eklat um den “Oh Boy”-Sammelband zeigt, dass noch viel passieren muss. Ein Kommentar.

Von: Berit Glanz, Simon Sahner

Stand: 18.08.2023

Eine Reproduktion der originalen Spielzeug-Puppe Ken steht in Badeshorts und mit Handtuch vor einem See. Die Puppe kam 1961 als Pendant zu Barbie erstmals auf den Markt. Hersteller Mattel startete 2021 anlässlich des 60-jährigen Jubiläums den Verkauf von Reproduktionen der Ken-Puppe.  | Bild:  Ted Shaffrey/AP/dpa

Betrachtet man den Stand der selbstkritischen Männlichkeit einmal genauer, muss man sich fragen, wie weit wir – wir Männer – eigentlich wirklich gekommen sind. Der Schauspieler Lars Eidinger färbt sich die Fingernägel und wird dafür gefeiert mit Normen zu brechen. Modefirmen bringen Röcke und Kleider heraus, die Männer mit Stolz tragen. Männer gehen in pinker Kleidung in den Barbie-Film und auch ein cis-Mann bestellt schon mal einen bunten Cocktail. Das ist toll. Das sollte so sein. Und es ist gut, dass wir als Gesellschaft soweit sind. Aber ist das im Jahr 2023 wirklich der Fortschritt, für den wir ihn halten?

„Oh Boy“-Sammelband über Männlichkeit wurde vom Markt genommen

Solche kleineren ästhetischen Statements sind relativ leicht umzusetzen, aber noch lange kein Garant für tiefergreifendes Umdenken. Es sind symbolische Veränderungen, die als Signal gelesen werden können und sollen. Man kann auf jeden Fall hoffen, dass es sich dabei um die sichtbarsten Elemente eines gesellschaftlichen Wandels handelt. Eines Nachdenkens, das sich auch in den zahlreichen Büchern zu dieser neuen Kritischen Männlichkeit zeigt, die gerade erschienen sind.

Ryan Gosling als Ken im Kinofilm "Barbie" – Interpretation der Ken-Puppe im Titelbild und Kommentar zum männlichen Selbstverständnis 2023.

Eines davon ist die Anthologie „Oh Boy.“ Das Buch hat gerade eine große Debatte ausgelöst und wurde schließlich vom Kanon Verlag vom Markt genommen, denn der Mit-Herausgeber Valentin Moritz hat einen Übergriff auf eine Frau zum Ausgangspunkt für seinen Text genommen und sich dabei über den expliziten Wunsch der Betroffenen hinweggesetzt. Guckt man genauer in seinen Text, steht dort viel darüber, dass Männer nicht über ihre Gefühle reden könnten, keine körperliche Nähe untereinander zulassen würden. Dieser Fokus auf Emotionen, letztlich auf Gefühligkeit, ist in ganz vielen dieser neuen Texte zu einer kritischen Männlichkeit zu finden.

Was helfen Worte, wenn Taten nicht stimmen?

Da stutzt man, denn schon in den 1970er Jahren trafen sich Männer, um endlich einmal über ihr Innerstes zu sprechen und sich körperlich näher zu kommen – ohne sexuelle Komponente. Die Erkenntnis, dass Männer nicht über ihre Gefühle sprechen, es aber sollten, ist so etwas wie das kleine Einmaleins der kritischen Männlichkeit. Trotzdem könnte man ja sagen „Gut, dass es nochmal jemand sagt“, aber was helfen die Worte, wenn die Taten nicht stimmen? Was helfen die lackierten Fingernägel und die Freude am Barbie-Film, wenn bei einer Anthologie zu kritischer Männlichkeit der Erfolg des Buches wichtiger ist, als die Bedürfnisse eines Opfers sexualisierter Gewalt? Sie helfen vor allem wieder Männern, sich gut zu fühlen – es ist letztlich Bedürfnisbefriedigung von Männern.

Es fehlt der Dialog

Und es bleibt Bedürfnisbefriedigung von Männern, solange sich die Formen nicht ändern, in der sich diese Selbstkritik und die Reflexion zeigen. Das literarische Frühjahr hat mehrere umfangreiche Bücher in den Diskurs gespült, in denen einzelne cis-Männer kritisch über sich nachdenken, dabei aber erstaunlich wenig auf ihre Vorgänger aus den 1970er-Jahren Bezug nehmen. In der Anthologie „Oh Boy“ findet sich außer dem Nachwort von Mithu Sanyal kein Text einer Frau – was überall fehlt, ist der Dialog. Es fehlen in allen Beiträgen Gegenstimmen, die eingreifen, wenn die Selbstkritik zu kurz greift oder sogar wieder ins Übergriffige schwappt. Und Stimmen, die die wirklich harten Fragen stellen, zu den Täterschaften und Vorteilen, die zu Männlichkeit im Patriarchat dazu gehören. Es reicht nicht bei diesen umfangreichen Erörterungen individueller Männlichkeit hängen zu bleiben. 

Solange selbstkritische Äußerungen von Männern über Sexismus in Form klassischer Personal Essays oder als Buch eines einzelnen Mannes daherkommen, kommen wir nicht weiter. Für die Opferperspektive bieten diese Texte keinen Platz. Und wenn keine Frau bereit ist, an einem Text mitzuwirken, in einen Dialog zu gehen? Dann fehlt es vielleicht noch an männlicher Reflexion, dann ist die Selbstkritik vielleicht noch zu egologisch und die Machtstrukturen wurden zu wenig in die Reflexion miteinbezogen, dann reicht es vielleicht nicht, endlich über seine Gefühle und den Wunsch nach Berührung zu reden. Dann muss vielleicht noch mehr geschehen, bevor man mit Stolz in der Öffentlichkeit zeigen kann, dass man kritisch mit der eigenen Rolle als Mann ist.