Bayern 2 - Zündfunk

Rechtsanwältin Christina Clemm "Ich nehme wahr, dass es ein Revival der harten Männlichkeit gegeben hat"

Eine Umfrage von Plan International zeigt erschreckende Zahlen, wie gewaltbereit Männer gegenüber Frauen immer noch sind. Auch wenn Kritik an der Umsetzung der Umfrage gibt, Gewalt in Partnerschaften bleibt ein stetiges Problem. Die Anwältin Christina Clemm weiß, warum.

Von: Sandra Limoncini

Stand: 15.06.2023

Häusliche Gewalt | Bild: BR

Gewaltdelikte gegen Frauen sind seit Jahrzehnten beängstigend hoch. Eine Umfrage von Plan International hat jetzt für viel Wirbel gesorgt. Laut dieser finden 33 Prozent der Männer Gewalt gegen Frauen akzeptabel, 34 Prozent wurden schon mal handgreiflich, um ihren Frauen Respekt einzuflößen und 48 Prozent mögen keine offen homosexuellen Gesten. Die Umfrage stützt die Statistiken zu Gewaltdelikten gegen Frauen, wird aber auch wegen methodischer Mängel massiv kritisiert. So erklärt der Intensivpädagoge Prof. Dr. Menno Baumann im BR, dass es sich um eine bezahlte Umfrage handelt, die nicht repräsentativ sei und die wissenschaftliche Arbeit der interdisziplinären Gewaltforschung eher beschädige. Die NGO Plan International hält allerdings an den Ergebnissen fest. Sandra Limoncini hat darüber mit der Anwältin und Vertreterin der Opfer von sexualisierter Gewalt Christina Clemm gesprochen.

Zündfunk: Ich habe in der Vorbereitung mehrfach von Ihnen den Satz gelesen: Wir müssen über Männlichkeit sprechen. Nach dieser Studie müssen wir das noch dringender als je zuvor, oder?

Christina Clemm: Naja, das bestätigt vor allem das, wovon Menschen sprechen, die sich seit vielen Jahren mit Gewalt gegen Frauen oder geschlechtsbezogener Gewalt beschäftigen. Dass es nämlich einen sehr hohen Prozentsatz von Betroffenen geschlechtsbezogener Gewalt gibt. Wir gehen ja davon aus, dass jede dritte bis vierte Frau davon betroffen ist, und bisher wurde nicht über die Täter gesprochen. Das ist natürlich völlig absurd, denn wenn es so viele Opfer gibt, dann gibt es höchstwahrscheinlich auch genauso viele Täter.

Jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland von ihrem Partner oder Ex Partner getötet und in 80% der Fälle von Gewalt in der Partnerschaft ist eine Frau das Opfer. Sind die Zahlen in den letzten 20 Jahren immer gleich oder hat sich da was getan?

Nein, es hat sich leider nicht besonders viel getan. Es gibt sogar immer mal wieder einen Anstieg. Im letzten Jahr gab es ein paar weniger Femizide, aber die Zahlen verharren eigentlich auf einem sehr hohen Niveau.

Was kann man letztlich tun, um das Frauenbild bei den Männern so zu verändern, dass das aufhört?

Christina Clemm - als Fachanwältin für Familien- und Strafrecht in Berlin tätig

Ich glaube, wir müssen tatsächlich über Männlichkeit sprechen. Darüber, ob zum Mann sein dazugehört, Macht auszuüben, gewalttätig zu sein, sexistische Gesten vorzunehmen oder sich unter Kumpels darüber zu amüsieren, eine andere Frau zu erniedrigen. All das sind ja Männlichkeitsbilder, die immer noch toleriert werden. Ich glaube, das ist wirklich gesamtgesellschaftlich zu verändern und zu lösen. Das heißt immer wieder hinzugucken, immer wieder zu kritisieren, wenn Männlichkeit so ausgeübt wird. Zum Beispiel darüber nachzudenken, ob man Kinder von Anfang an anders erziehen muss, nur wegen der äußeren Geschlechtsmerkmale.

Warum wird Frauen oft nicht geglaubt, wenn sie von Gewalt Erfahrungen gegen sich berichten? Hat das mit diesem komischen Mythos zu tun, dass weibliche Personen solche Straftaten gerne erfinden?

Ich glaube, es gibt diesen Mythos der lügenden Frau. Man muss sagen, unsere Gesellschaft ist ja auch darauf aufgebaut, dass es diese Machtverhältnisse gibt. Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft und letztlich ist die physische und psychische Gewalt auch ein Instrument, um das durchzusetzen. Wir haben immer noch einen riesigen Gender-Pay-Gap. Frauen verdienen für dieselbe Arbeitszeit mit derselben Qualifikation weniger. Und Frauen machen viel mehr Hausarbeit als ihre männlichen Partner. Es gibt ganz viele Ebenen, auf denen das so ist.

Sie sind seit über 25 Jahren Anwältin und setzen sich für Frauen ein. Was hat sich denn in diesen 25 Jahren für Frauen zum Guten verändert?

Zum Guten hat sich verändert, dass es durchaus eine größere Aufmerksamkeit gibt. Dass in den Medien langsam ein Bewusstsein entsteht, nicht immer die Opfer zu beschuldigen, dass man über Femizide spricht und nicht mehr über Eifersucht oder Familiendramen. Das ist noch nicht durchgängig so, aber es gibt diese Tendenz, dass man auch anders über sexualisierte Gewalt berichtet. Aber insgesamt würde ich sagen, dass das alles noch nicht wirklich umgesetzt ist.

Gibt es eigentlich auch Momente, in denen sie persönlich verzweifeln, weil sich in manchen Bereichen seit Jahrhunderten nichts getan hat?

Verzweiflung ist nicht meine Emotion, aber ich werde durchaus manchmal wütend. Ich nehme schon wahr, dass es in den letzten Jahren neben diesen positiven Entwicklungen auch ein Revival der harten Männlichkeit gegeben hat, die sich auch immer weiter im Netz verbreitet. Also diese maskulistischen Gruppen, die frauenverachtenden Hass verbreiten. Ich merke im Gerichtssaal auch, dass es einen sehr rauen Ton gibt und dass es so dieses Motto gibt: „Jetzt haben die Frauen doch schon Gleichberechtigung? Jetzt ist aber auch mal wieder gut und wir müssen zur harten Männlichkeit zurückgreifen!“ Das macht mich wütend, das macht mir aber auch Sorgen. Es gibt da einen wahrnehmbaren Backlash und ich glaube, das zeigt diese Untersuchung und diese Umfrage sehr gut, dass Männer eben auch durchaus einfach dazu stehen, gewalttätig zu sein.