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Meinung Wie die Affäre um Hubert Aiwanger Bayern spaltet

In der Flugblatt-Affäre geht es um viel mehr als um Jugendsünden, wie ein Blick in die bayerische Aufarbeitung des Nationalsozialismus zeigt. Liefert Hubert Aiwanger keine glaubwürdige Erklärung, vergrößert er die Spaltung im Freistaat. Ein Kommentar.

Von: Armin Hirsch

Stand: 03.09.2023

Hubert Aiwanger | Bild: picture alliance / SvenSimon | Frank Hoermann/SVEN SIMON

Die 80er Jahre in der alten Bundesrepublik: Neonazis verüben einen Anschlag aufs Oktoberfest mit 13 Toten. Als Täter werden aber lange Zeit nicht Rechtsextremisten verdächtigt, sondern es heißt erstmal: Die Linken waren es!

Wenig Aufarbeitung in den 80ern

In den 1980ern redet man nicht so gern über rechtsextreme Täter, seien es junge oder die alten aus der NS-Zeit. Damit sich die Deutschen ein bisschen besser erinnern, wird der "Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten" gestartet. Schülerinnen und Schüler sollen in ihren Städten und Gemeinden in die Nazi-Zeit zurückschauen, in Archive gehen und mit Zeitzeugen sprechen.

Das hat damals auch Anna Rosmus aus Passau gemacht. Sie hat beim Wettbewerb teilgenommen. Allerdings: Die Archive in ihrer Stadt haben ihre Akten nicht geöffnet. Und einige Leute in Passau haben sie beschimpft und bedroht. Am Ende ist Anna Rosmus vor Gericht gezogen und hat die Öffnung der Akten aus der Nazizeit erstritten.

Hitlergrüße und Judenwitze

Ein paar Jahre später im Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg – ebenfalls Niederbayern. Auch dort ist der Bundeswettbewerb bekannt und Schüler beteiligen sich. Aber es taucht auch ein Flugblatt auf, das man offensichtlich nur als Verarschung des Wettbewerbs verstehen kann. Darauf steht: "Bundeswettbewerb: Wer ist der größte Vaterlandsverräter?"

Es ist das Flugblatt, das Hubert Aiwanger in der Schultasche gehabt haben soll. Laut Inschrift bekommen die Gewinner dort aber keinen Förderpreis, sondern werden im KZ auf brutale Weise umgebracht. Wie die Geschichte weitergeht, ist bekannt: Aiwanger wurde in der Schule bestraft, ein kleiner Kreis wusste davon und Einzelne erinnern sich noch heute an Hitlergrüße und Judenwitze. Aber: Damals hat aus solchen Vorfällen niemand eine große Sache gemacht.

Ändern sollte sich die öffentliche Diskussion in Bayern spätestens in den Nullerjahren – nach den Anschlägen von Mölln, Solingen und Rostock. Wunsiedel wird eine bundesweit bekannte „Nazi-Stadt“. Dort haben sich jedes Jahr eine drei- bis vierstellige Zahl Neonazis zum sogenannten "Rudolf Heß-Gedenkmarsch" versammelt. Die Strategie der Stadt war lange Zeit: Fenster und Türen schließen und am besten wegfahren. Das Problem: Die Nazi-Demo wurde von Jahr zu Jahr größer.

Früher Sitzstreik, heute Kommentarspalten

Bis 2004: Dann setzte sich Karl-Willi Beck, der CSU-Bürgermeister von Wunsiedel, auf die Straße und beteiligte sich an einer Sitzblockade gegen den Nazi-Aufmarsch. Das war überraschend. Karl-Willi Beck löste mit seiner Arbeit gegen Rechts einiges aus: In der Folge wurde der Volksverhetzungs-Paragraf verschärft und rechte Demos konnten leichter verboten werden. Und: Bayern hat jetzt eine „Projektstelle gegen Rechtsextremismus“. Sie unterstützt Kommunen, wenn sie rechte Strukturen entdecken. Wegschauen ist in Bayern damit offiziell vorbei.

Sprung ins Jahr 2023: Was hat sich geändert? Wir sind den ganzen Tag im Internet und rechtes Gedankengut verbreitet sich weniger durch Flugblätter und auf Demos, sondern in den sozialen Netzwerken. Verschiedene Bubbles krachen hasserfüllt aufeinander und gegensätzliche Meinungen werden ins Netz gebrüllt. Andere wiederum schmieden neue Allianzen. In den letzten Jahren haben wir gesehen: Innerhalb weniger Wochen verbünden sich Leute, die von der Corona-Politik verunsichert sind plötzlich mit strammen Rechtsextremisten.

Scherz oder Reaktion aus der Nazi-Szene?

Und es geht noch einen Schritt weiter: Wir können uns nicht mehr auf gemeinsame Fakten einigen. In den USA ist das schon länger so. Dagegen laufen Bayerische Landtagswahlkämpfe bislang recht traditionell ab: Man teilt kräftig aus, aber kann sich meistens noch darauf einigen, worüber man eigentlich spricht und was die Tatsachen sind. Die Affäre um Huber Aiwanger könnte die politische Diskussionskultur weiter verändern: War der stellvertretende Ministerpräsident in seiner Jugend nun mit Hitlergrüßen, Hitlerbart und "Mein Kampf" unterwegs - oder nicht? Und: War dieses Flugblatt eine Reaktion aus der Neonazi-Szene auf den damaligen Bundeswettbewerb oder ein dummer Scherz eines Pubertierenden?

Die einen sagen: Stimmt alles nicht. Das hat ein SPD-naher Lehrer inszeniert. Die Medien sind schuld! - Die anderen: Aiwanger ist mehrere Jahre wie ein Neonazi aufgetreten. Er dürfte deutschlandweit der einzige Landesminister sein, der so eine Vergangenheit vorzuweisen hat. Hubert Aiwanger muss uns glaubhaft erklären, wie er da wieder rausgekommen ist.

Eine sinnvolle Diskussion funktioniert aber nur, wenn Aiwanger detailreich die Fakten auf den Tisch legt. 25 Fragen und Antworten, die letztlich sagen "ich erinnere mich nicht", bringen die Aufklärung nicht weiter. Inszeniert er sich weiter als Opfer einer Kampagne, dann stehen sich dauerhaft zwei Wahrheiten verfeindet gegenüber und Aiwanger wird zum Trump aus Niederbayern. Voraussetzung ist natürlich: Hubert Aiwanger will aufklären und eine Spaltung verhindern.