Bayern 2 - Zündfunk

Isrealische Friedensaktivistin Angela Scharf "Es gibt keine andere Lösung. Für unsere Kinder müssen wir weitermachen"

Die Friedensaktivistin Vivian Silver wurde von der Hamas ermordet. Ihre Mitstreiterin und Freundin Angela Scharf erzählt von Silver und davon, warum sich israelische und palästinensische Frauen jetzt umso stärker für ein Ende der Gewalt einsetzen.

Von: Julia Fritzsche

Stand: 15.11.2023

Die österreichisch-israelische Friendesaktivistin Angela Scharf  | Bild: privat, AngelaScharf

Vivian Silver ist 38 Tage tot, als Angela Scharf davon erfährt. Anders als gehofft, wurde sie am 7. Oktober 2023 von der Hamas getötet. Jetzt wurde ihre Leiche doch identifiziert. Silver (74) war eine der bekanntesten Gesichter der israelischen Friedensbewegung, die sich Jahrzehnte für eine Lösung des Nah-Ost-Konfliktes einsetzte. 2014 gründete Silver mit anderen Frauen die mittlerweile größte Graswurzel-Friedensbewegung Israels „Women Wage Peace“. Mit palästinensischen Frauen zusammen demonstrierten sie unermüdlich für Frieden in der Region. Vor dem Ausbruch des Krieges zogen die Freundinnen Silver und Scharf mit „Women Wage Peace“ durch Israel, und campierten vor dem israelischen Parlament für ein Ende der Gewalt. Mit der palästinensischen Frauen-Friedensbewegung „Women of the Sun“ arbeiteten sie an einer gemeinsamen Zukunftsvision.

Zündfunk: Wie haben Sie den Tod von Ihrer Kollegin und Freundin Vivian Silver aufgenommen?

Angela Scharf: Die Familie wurde informiert, dass die Leiche identifiziert wurde. Beim Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 [Anmerkung der Redaktion] wurden 1.400 Leute abgeschlachtet, und nicht alle konnten identifiziert werden, weil sie teilweise verbrannt oder zerstört wurden. Wir waren uns sicher, dass Vivian entführt wurde, weil ihr Mobiltelefon in Gaza geortet wurde. Es war ein riesiger Schock gestern Nacht, als wir erfuhren, dass sie schon 38 Tage tot ist.

Vivian Silver war eine Freundin von Ihnen und eine der wichtigsten Friedensaktivistinnen Israels. Wie haben Sie sie in Erinnerung? Und welche Rolle spielte sie in ihrer Organisation „Women Wage Peace“?

Vivian ist eine Frau, die voller Energie war. Sie hat verschiedenste Organisationen gegründet, zum Beispiel eine Organisation für gemeinsames Leben in der Negev, im Süden von Israel, zwischen Beduinen, Arabern und Juden. Vivian hat jahrelang kranke Kinder aus dem Gazastreifen in Krankenhäuser nach Israel gebracht. Sie hat auch sehr, sehr viele Kontakte mit Aktivistinnen in Gaza. Bis 2005, solange es ging, ist sie oft nach Gaza gefahren und hat mit ihnen zusammen Aktionen gemacht. Danach standen sie telefonisch viel in Kontakt. 2014 hat Vivian mit anderen Frauen „Women Wage Peace“ zusammen gegründet. Die Frauen haben gesagt: „Wir wollen Söhne nicht mehr in den Krieg schicken. Wir wollen ein anderes Leben aufbauen“. So ist „Women Wage Peace“ heute die größte Friedensbewegung und die größte Graswurzel-Bewegung Israels. Wir haben 47.000 Mitglieder.

Sie sind wie Vivian Silver Friedensaktivistin. Wie blicken Sie jetzt gerade auf das Vorgehen der israelischen Regierung, mit Blick auf die Zukunft der Geiseln in Gaza und auf die Menschen, die sie kennen?

Für uns ist das Allerwichtigste, die Geiseln lebend herauszubekommen. Es ist uns klar, dass die Regierung etwas machen musste, um die Hamas zu stürzen, denn das sind solche blutrünstigen… ich habe kein Wort, wie man sie eigentlich bezeichnen kann. Aber wir müssen alles versuchen. Ich denke, das Militär versucht auch alles zu tun, um unschuldige Zivilisten zu schützen. Das ist wahnsinnig schwierig, weil die Hamas die Zivilisten als Schutzschilder verwendet. Es ist wirklich eine Katastrophe.

Was ist ihre Zukunftsversion für die Menschen in Israel, in der Westbank, in Gaza? Ist das eine Zwei-Staaten-Lösung, eine Ein-Staaten-Lösung oder eine Föderation?

Unsere Einstellung ist, dass jede Lösung, die von beiden Seiten akzeptiert wird, für uns akzeptabel ist. Ob das eine Zwei-Staaten-Lösung, Ein-Staaten-Lösung oder eine Konföderation ist. Aber es müssen beide Seiten zustimmen.

Sie arbeiten seit einem Jahr auch mit einer palästinensischen Frauen-Friedensorganisation zusammen: „Women of the Sun“ mit 3000 Mitgliedern. Woraus bestand ihre Zusammenarbeit vor dem 7. Oktober 2023?

Wir sind mit dieser Bewegung seit dreieinhalb Jahren in Kontakt. Wir haben 2022 einen Monat lang dreizehn verschiedene Veranstaltungen in ganz Israel gehabt. Da haben „Women of the Sun“ auch mitgemacht. In den letzten zwei Monaten haben wir sieben Treffen organisiert in Israel, die jedes Mal zwischen 100 und 300 Frauen besucht haben. Dafür ist die Gründerin von „Women of the Sun“ nach Israel gekommen und hat einen Vortrag gehalten zum Thema „Have you ever met a Palestinian Peace Activist?“. Daran gab es großes Interesse. Das letzte gemeinsam organisierte Event war am 4. Oktober in Jerusalem und am Toten Meer. Da hatten wir circa 2.000 Frauen von „Women Wage Peace“ und „Women of the Sun“, und es war so voll von Hoffnung, wir sind alle so optimistisch rausgegangen. Vivian war auch dort und hat es mitorganisiert. Es ist nicht zu glauben, dass sie drei Tage danach durch dieses Massaker umgekommen ist. Ich habe keine Worte, wir sind zerstört.

Ganz praktisch gesehen: Wie organisieren Sie die Zusammenarbeit mit der palästinensischen Gruppe „Women of the Sun“ aktuell, können Sie sich treffen?

Nach dem 7. Oktober standen wir unter totalem Schock. Nach etwa zehn Tagen hatten wir das erste größere Treffen per Zoom und es wurde von beiden Seiten sehr viel Empathie für die andere Seite ausgedrückt. Das Wichtigste war, dass wir ganz klar von beiden Seiten gesagt haben: Es gibt keinen anderen Weg, als weiterzumachen. Es gibt keine andere Lösung. Für unsere Kinder müssen wir weitermachen.