Bayern 2 - Zündfunk

Antimuslimischer Rassismus „Menschen werden auf der Straße als Terroristen beschimpft“

Der Krieg in Israel und Gaza wirkt sich auch in Deutschland aus. Antisemitismus hat Hochkonjunktur. Und auch gegenüber muslimischen Menschen wachsen Vorurteile und Hass. Woran das liegt und was sich dagegen tun lässt.

Von: Bärbel Wossagk

Stand: 07.11.2023

Rima Hanano, Leiterin der Organisation CLAIM | Bild: CLAIM Allianz

Der Krieg in Israel und Gaza schlägt sich auch auf deutschen Straßen, Plätzen oder auch in Schulen nieder. Geschockt vom Terror der Hamas gehen viele auf die Straße, um Solidarität mit Israel zu zeigen. Gleichzeitig finden pro-palästinensische Demonstrationen statt – teils mit Judenfeindlichkeit und Hass. Auch gegenüber muslimischen Menschen scheinen Vorurteile und Hass gerade zu wachsen. Rima Hanano arbeitet für CLAIM in Berlin, eine Organisation, die sich für Vernetzung, gegen Intoleranz und Islamfeindlichkeit einsetzt.

Zündfunk: Sie dokumentieren antimuslimisch motivierte Vorfälle. Was beobachten Sie aktuell?

Rima Hanano: In den letzten Wochen haben wir eine Zunahme von antimuslimischem Rassismus beobachtet. Aktuell haben wir drei dokumentierte antimuslimische Vorfälle pro Tag. Das betrifft die zweieinhalb Wochen vor dem 31. Oktober. Gleichzeitig möchte ich aber darauf hinweisen, dass es ein großes Dunkelfeld gibt, weil viele Menschen antimuslimische Übergriffe nicht melden oder diese nicht gut erfasst werden.

Was sind das konkret für Vorfälle?

Moscheen erhalten bundesweit Drohbriefe und Hassmails, es gibt versuchte Brandstiftung. Kinder werden in der Schule aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Islam beispielsweise gemobbt. Oder von ihnen wird aufgrund ihrer muslimischen Zugehörigkeit eine Positionierung erwartet. Menschen werden auf der Straße verbal angegriffen und mit Terror gleichgesetzt, als „Terroristen“ beschimpft. Das sind Fälle, die uns erreichen.

Ist das jetzt anders als vor dem 7. Oktober, dem Tag des Hamas-Terrorangriffs auf Israel?

Grundsätzlich wissen wir, dass antimuslimischen Narrative ohnehin weit verbreitet und in weiten Teilen der Gesellschaft anschlussfähig sind. Die kommen nicht nur aus der rechten Ecke: Jede zweite Person in Deutschland stimmt antimuslimischen oder muslimfeindlichen Aussagen zu.

Ist angesichts der furchtbaren Lage für Jüdinnen und Juden in Deutschland gerade der richtige Zeitpunkt, um auf antiislamische Übergriffe hinzuweisen?

Es ist genau der richtige Zeitpunkt, weil wir grundsätzlich Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus und alle anderen menschenfeindlichen Ideologien gemeinsam adressieren und bekämpfen müssen. Wo Antisemitismus erstarkt, erstarken auch antimuslimischer Rassismus und andere menschenfeindlichen Ideologien – und umgekehrt. Es ist zentral, dass eine Demokratie alle Minderheiten in ihrem Land schützt. Viele Menschen in diesem Land, Juden und Jüdinnen, Muslim:innen und migrantisch gelesene Menschen, sind sehr besorgt, haben berechtigte Angst und fühlen sich bedroht. Insofern ist das genau der richtige und ein wichtiger Zeitpunkt.

Sie haben gesagt, Schüler:innen werden gerade gedrängt, sich zu dem zu positionieren, was in Israel und im Gazastreifen passiert. Es positionieren sich aktuell sehr viele Leute auch auf Demos – in Teilen auf antisemitische Weise. Haben Sie den Eindruck oder die Sorge, dass diese Demos antimuslimischen Rassismus befeuern?

Antisemitismus ist keine Meinung, das ist eine Straftat. Auch Terrorverherrlichung ist keine Meinung, sondern unbedingt sofort zu ahnden und eine Straftat. Aber was wir erleben, beispielsweise durch Verbote von Demonstrationen wie in Berlin, ist, dass man pauschal eine ganze Gemeinschaft mit einem Antisemitismus-Vorwurf belegt. Das ist problematisch. Wir erleben aktuell die Reproduktion von einem Zwei-Lager-Denken, das heißt, dass am Ende auch das zu einer Verschärfung von antimuslimischem Rassismus führt.

Wir haben jede Menge Vorwürfe: Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit. Wie überwinden wir gegenseitige Vorwürfe und den Rassismus in alle Richtungen?

Das ist echt eine herausfordernde Frage. Ich denke, mit einem ehrlichen Diskurs, ohne nur in eine Richtung zu gucken. Indem wir uns ehrlich mit Antisemitismus und auch mit Rassismus auseinandersetzen in diesem Land. Das hat man lange Zeit verpasst. Und so wie ich den aktuellen Diskurs erlebe, verpasst man wieder einen wichtigen Moment, um wirklich umfänglich alle Gruppen in den Blick zu nehmen. Antisemitismus ist am Ende ein gesamtgesellschaftliches Problem, was auch gesamtgesellschaftlich angegangen werden muss, genauso wie Rassismus.

Was kann in der muslimischen Gemeinde getan werden, um da wiederum Antisemitismus zu diskutieren und zu thematisieren? Wird da genug gemacht?

Antisemitismus muss in muslimischen Communities genauso bekämpft und adressiert werden wie in allen großen Parteien und in der Gesamtbevölkerung. Viele Menschen in diesem Land haben Angst vor den aktuellen politischen Entwicklungen. Sie haben aber nicht erst Angst seit dem 7. Oktober. Ich erinnere an die NSU-Mordserie und die Anschläge von Halle und Hanau. Ich bekomme aktuell mit, dass Menschen, die hier aufgewachsen und Teil der deutschen Gemeinschaft sind, überlegen, das Land zu verlassen. Denn Rassismus ist nicht nur Alltag für viele Menschen in diesem Land, sondern lebensbedrohlich.