Bayern 2 - Zündfunk


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Das Corona-Tagebuch Ohne Berührung gibt es keine wirkliche Verbindung mehr zwischen uns

Mit jedem Tag, den diese Krise länger anhält, merken wir, wie sehr uns die Berührungen und Umarmungen fehlen. Zündfunk-Moderatorin Bärbel Wossagk hat deshalb eine persönliche Entscheidung getroffen, die es ihr leichter macht, die Situation durchzuhalten.

Von: Bärbel Wossagk

Stand: 28.04.2020 | Archiv

Bärbel Wossagk, Oktober 2018. | Bild: BR/Lisa Hinder

Eigentlich komme ich ganz gut klar mit Corona. Schließlich gehöre ich zu den Super-Privilegierten. Zusammen mit meiner Familie, die ich liebe, in einem Innenhof-Häuschen, mit ein bisschen Garten sogar, das lässt sich aushalten. Ich kann weiter arbeiten, und falls mir doch mal langweilig wird, könnte ich die vermoosten Gartenstühle renovieren.

Abstandhalten - das ist sicherlich sinnvoll, aber ich verkrafte es nicht gut

Aber es gibt noch mehr Familie, meine Eltern ganz in der Nähe. Mein Vater ist 84 und war neulich im Krankenhaus wegen einer Herzgeschichte, und die ist leider nicht sein einziges Problem. Kurz vor dem kompletten Lockdown ist er entlassen worden. Zum Glück. Denn ob er das überstanden hätte  - ohne die täglichen Besuche meiner Mutter - das weiß ich nicht. Für Menschen wie ihn, die nicht mehr alles hundertprozentig im Griff haben, ist das Krankenhaus kein guter Ort. Für Menschen, die nicht dran denken, mal was zu trinken. Die vergessen, rechtzeitig aufs Klo zu gehen. Die total 'lost' sind auf einer unbekannten Station.

Mein Vater hat das Krankenhaus gerade noch rechtzeitig überstanden. Aber nicht so richtig gut. Und dann kam Corona: Meine Eltern brauchen Unterstützung. Ich bringe den beiden also ihre Einkäufe, ich schaue nach Rezepten und Medikamenten, nach Badewannenliftern und Treppengeländern und Gartenschlauch-Anschlüssen. Ich fahre meinen Vater zum Arzt, ich schnalle ihn an und schnalle ihn wieder ab im Auto. Das alles soll also jetzt mit Sicherheitsabstand passieren. Ehrlich gesagt: ein Ding der Unmöglichkeit. Trotzdem habe ich natürlich versucht, knallhart Abstand zu halten bei meinen Besuchen. Denn das ist ganz sicher die sinnvollste Maßnahme in der ganzen Corona-Krise. Ich unterstütze sie voll und ganz. Aber ich verkrafte sie nicht gut.

Ohne Berührung gibt es keine wirkliche Verbindung mehr zwischen uns

In meiner Familie waren Nähe und Berührung immer wichtig. Ich sehe andere, bei denen viel mehr Distanz üblich ist. Aber nicht bei uns. Ich merke schmerzlich, dass Kommunikation mit Worten nicht alles ist. Es fühlt sich ganz grauenvoll kalt an, in der Küche meiner Eltern in der Ecke zu kleben, um ihnen ja nicht zu nahe zu kommen. Am Anfang war das Distanz-Halten erstmal nur komisch. Aber im Laufe meiner Besuche wurde dieses “mei ist ja jetzt schon doof”-Gefühl zu einem echten Problem für mich. Vor allem, weil ich mit meinem Vater in kein echtes Gespräch mehr komme. Es funktioniert einfach nicht mehr, mit zwei Metern Abstand schon gar nicht. Und ich habe das Gefühl, dass ihm manchmal entfällt, warum ich mich so seltsam benehme. Ohne Berührung gibt es keine wirkliche Verbindung mehr zwischen uns.

Ich habe also sehr viel darüber nachgegrübelt, ob ich das wirklich so will. Klar, ich will auf gar keinen Fall das Virus einschleppen bei meinen Eltern. Mein Vater allein im Krankenhaus, womöglich ein schwerer Verlauf, bei seiner Vorgeschichte wäre das zu erwarten - das ist eine Horror-Vorstellung. Aber keine Berührung mehr, keine Verbindung, das wäre ja jetzt schon die Isolierstation. Für ihn schwer erträglich -  und für mich auch. 

Jeder muss persönliche Entscheidungen treffen, die auch durchhaltbar sind

Beim letzten Arztbesuch mit meinem Vater habe ich seinem Hausarzt, den ich schon sehr lange kenne, mein Problem geschildert. Und das war seine Antwort: Jeder muss jetzt eine persönliche Entscheidung treffen, die auch durchhaltbar ist. Denn Corona wird uns noch viele Monate begleiten. Um es mal für mich zu formulieren: Wenn ich also jetzt kämpfe und die Distanz durchziehe, und mein Vater stirbt, ganz ohne Corona, dann habe ich ihn nie wieder berührt? Dann ist er nie wieder berührt worden von mir in dieser für ihn eh schon so harten Zeit? "Vergiss es Bärbel", hat mein alter Arzt-Freund gesagt. Und dass er das bei seiner eigenen Mutter nicht durchhalten würde mit dem Abstand.

Corona wird mich womöglich länger begleiten als mein Vater

Es war eine Befreiung für mich. Das war genau der Schubs, den ich noch gebraucht habe. Denn eigentlich hatte ich meine Entscheidung ja schon getroffen. Ich habe meinen Vater umarmt, wir haben nebeneinander ein Eis in der Sonne gegessen. Es war der schönste Moment mit meinen Eltern seit langem. Ich weiß nicht, ob es richtig ist. Klar habe ich Angst. Aber ich habe mich jetzt entschieden. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, fürchte ich. Corona wird mich womöglich länger begleiten als mein Vater. Er hat sich jedenfalls riesig gefreut.


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