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Mütter des Grundgesetzes Das Thema

Stand: 26.04.2013 | Archiv

Die Macht der "Trümmerfrauen"

Bereits im Zweiten Weltkrieg hatten die Frauen mit übermenschlicher Kraft und Zähigkeit das entbehrungsreiche Alltagsleben unter den Qualen und Wirren des Krieges, der Bomben und des menschlichen Leids und Hungers organisiert. Nach den Zerstörungen des Krieges räumten Zehntausende von Frauen mit ihrer Hände Arbeit, mit Spitzhacken, Schaufeln und Schubkarren ca. 400 Millionen Kubikmeter Schutt aus den zerbombten Häusern und Gebäuden der deutschen Städte. In Berlin arbeiteten etwa 60.000 "Trümmerfrauen". Für diese Arbeit erhielten alle Frauen Lebensmittelkarten für Schwerstarbeiter. Ihr jahrelanges Schuften sicherte ihnen einen Platz in den Geschichtsbüchern des befreiten Deutschlands, ihre Kraft stand für den Willen zu Wiederaufbau und Neubeginn.

Vier starke Frauen

Ähnlich wie die "Trümmerfrauen", nur auf einer geistigen und rechtlichen Ebene, gab es beherzte Frauen, die andere Hürden aus dem Weg räumten. Dazu gehörten die sogenannten vier "Mütter des Grundgesetzes" Elisabeth Selbert, Frieda Nadig, Helene Weber und Helene Wessel. Die vier Politikerinnen setzten sich für die Gleichberechtigung der Frauen ein und wollten diesen Rechtsanspruch in der 1948 gerade entstehenden demokratischen Verfassung durchsetzen.

Helene Wessel, vierte Tochter eines Lokomotivführers, war bereits in der Weimarer Republik 1928 bis 1933 Abgeordnete im Preußischen Landtag. Sie arbeitete als Jugendpflegerin und Fürsorgerin für die katholische Kirche. 1945 war sie zur stellvertretenden Vorsitzenden der Zentrumspartei gewählt worden.1949 wurde sie Parteichefin und damit die erste weibliche Vorsitzende einer Partei in Deutschland. Helene Weber war Lehrerin und wurde Mitglied im Zentralvorstand des Katholischen Deutschen Frauenbundes. 1919/20 war sie an der Entwicklung der Weimarer Verfassung beteiligt und gehörte der Partei des Zentrums an. In der Weimarer Republik wirkte sie als Landtagsabgeordnete, später als Abgeordnete des Reichstags, seit 1920 als Ministerialrätin im Preußischen Wohlfahrtsministerium. 1933 wurde sie von den Nationalsozialisten aus politischen Gründen entlassen. 1945 baute sie die CDU mit auf und war eine enge Vertraute von Konrad Adenauer.

Frieda Nadig, Tochter eines Tischlers und einer Näherin, trat bereits 1916 in die SPD ein. Als Jugendfürsorgerin arbeitete sie im Wohlfahrtsamt und wirkte 1929 bis 1933 als Abgeordnete im Westfälischen Provinziallandtag. 1947 arbeitet sie im Zonenbeirat für die britische Besatzungszone, 1948/49 im Parlamentarischen Rat an der Entstehung des Grundgesetzes mit. Elisabeth Selbert war zunächst in einer Handelsfirma tätig. 1918 tritt sie in die SPD ein. Als Mutter von zwei Kindern holte sie die Reifeprüfung nach und studierte in Marburg und Kassel Jura. 1930 promovierte sie zum Thema "Ehezerrüttung als Scheidungsgrund" zum Dr. jur. Als Rechtsanwältin baute sie in Kassel nach 1945 die Justizverwaltung mit auf. 1946 wurde sie Mitglied des zentralen Parteivorstands der SPD.

Die verankerte Ungleichheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900

Als Rechtsanwältin erlebte gerade Elisabeth Selbert die Ungerechtigkeiten des damals geltenden Scheidungsrechts. Auch wenn eine Frau im Familienbetrieb mitgearbeitet hatte, ging sie nach der Scheidung leer aus, denn sie war nach geltendem Recht nicht beteiligt an Gewinn und Vermögen. Auch über das eigene Vermögen, das eine Frau mit in die Ehe gebracht hatte, konnte sie nicht mehr entscheiden. Ja sogar ein Bankkonto durfte eine Frau ohne Zustimmung ihres Mannes nicht eröffnen. Elisabeth Selbert setzte sich in ihrer politischen Arbeit vehement für die Abschaffung des "Schuldprinzips" im Scheidungsrecht ein. Das allerdings wurde erst 1977 eingeführt, somit war Elisabeth Selbert ihrer Zeit weit voraus.

Der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz

Die einzigen Rechte der Frauen in der Weimarer Republik waren das aktive und passive Wahlrecht. Nachdem allerdings die Frauen in Kriegs- und Nachkriegszeiten erstarkten und vielfach in Büros und Fabriken die Männer ersetzt hatten, konnten sie nicht einfach mehr in die zweite Reihe zurückgedrängt werden. Diese Realität musste sich auch in der neuen Verfassung widerspiegeln. In Bonn kamen am 1. September 1948 im Parlamentarischen Rat erstmals 65 stimmberechtigte Abgeordnete zusammen. Im Grundsatzausschuss, der über die Grundrechte beraten sollte, saß die Juristin Elisabeth Selbert. Für sie war völlig klar, dass ein Satz ins Grundgesetz hineingeschrieben werden musste: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt".

Der Kampf gegen verkrustete Strukturen

Aber sie fand mit ihrem Antrag keine Mehrheit, auch nicht in den eigenen Reihen, obwohl die Gleichberechtigung der Frauen bei der SPD seit langem programmatische Forderung war. Zunächst einigten sich die Ausschussmitglieder darauf, dass die Frauen das Wahlrecht erhalten sollten, aber nicht mehr. Auch Selberts drei Mitstreiterinnen befürchteten ein juristisches Chaos, wenn in der Verfassung die rechtliche Gleichberechtigung der Frau verankert würde, aber das Familienrecht nicht dahingehend reformiert würde. Elisabeth Selbert setzte auf Öffentlichkeit und überparteiliche Frauenvereinigungen. In einer öffentlichen Kampagne mit vielen Vorträgen in verschiedenen Städten leistete sie Überzeugungsarbeit und war erfolgreich. Bürgerliche Frauenbewegung und Arbeiterbewegung gingen in diesem Punkt zusammen. 40.000 Beschwerden und Eingaben erreichten den Parlamentarischen Rat.

Der Kompromiss als Schachzug

Schließlich fand Elisabeth Selbert einen Kompromiss: zwar solle der Satz im Grundgesetz festgeschrieben werden, aber das Familienrecht erst später, 1953 reformiert werden. Schließlich wurde ihr Antrag am 18. Januar 1949 einstimmig angenommen. Ende Mai 1949 trat das Grundgesetz in Kraft. Die verfassungsmäßige Gleichberechtigung
von Männern und Frauen war somit erreicht, die Rechtswirklichkeit allerdings – im Familienrecht - hinkte noch Jahrzehnte hinterher.


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