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Die Notstandsgesetze Das Thema

Stand: 29.03.2010 | Archiv

Die 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland musste durch das Besatzungsstatut der westlichen Alliierten tief greifende Einschränkungen seiner Selbstständigkeit und Unabhängigkeit hinnehmen. 1955 haben Frankreich, Großbritannien und die USA die Bundesrepublik als souveränen Staat anerkannt, doch blieben Vorbehaltsrechte für den Fall des inneren und äußeren Notstands. Sie konnten nur durch eine eigene Regelungim Grundgesetz beseitigt werden. Daran wurde von allen Regierungen seit 1955 gearbeitet.

"Der Notstand ist die Stunde der Exekutive."

Diesen plakativen, wenig ernsthaften Satz formulierte der damalige Innenminister Gerhard Schröder 1960, wohl wissend, dass sein Gesetzentwurf keine Chancen hatte, weil für Änderungen der Verfassung eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist, die von den Regierungsparteien CDU/CSU und FDP ohne die SPD nie erreicht worden wäre. Die Sozialdemokraten hätten aber diesem Schröder-Vorschlag nicht zugestimmt; denn er sah vor, dass über den Ausnahmezustand die einfache Mehrheit des Bundestages, bei Gefahr im Verzug sogar der Bundeskanzler allein bestimmen sollte. Überdies hätten wesentliche Grundrechte außer Kraft gesetzt werden können: das Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Freizügigkeit, Berufsfreiheit. Der Vorschlag Hermann Höcherls, des Nachfolgers von Gerhard Schröder berücksichtigte schon die Vorbehalte der SPD. Doch blieb alles im Bereich der Exekutive, die sogar eine Kriegsfall-Übung veranstaltete ("Fallex 66") – ohne gesetzliche Grundlage.

Die große Koalition und die Opposition

Im gleichen Jahr 1966 wurde die große Koalition aus CDU/CSU und SPD gebildet; die kleine FDP war die einzige Oppositionspartei. Deshalb entstand  eine Außerparlamentarische Opposition (APO), die von den Universitäten ausging und verschiedene gesellschaftliche Kräfte bündelte, vor allem gegen das Projekt der Notstandsgesetze. Studenten, Künstler, Gewerkschafter und Intellektuelle fürchteten um die bürgerlichen Grundrechte und die demokratische Verfassung. Hatte doch Hitler mit Hilfe des Notverordnungsartikels in der Weimarer Reichsverfassung die Grundrechte und die demokratische Ordnung selbst beseitigt. Mit verschiedenen Formen des Protestes, Demonstrationen, Kundgebungen, Sit-ins, Go-ins, Teach-ins wurde die Kritik bis in den Bundestag getragen. Der Schriftsteller Heinrich Böll sprach auf der bis dahin größten Demonstration in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit 60 000 Menschen. Am 16. Mai 1968 wurden die Notstandsgesetze trotzdem beschlossen.

Die Notstandsgesetzgebung und der "Spannungsfall"

Am 28. Juni 1968 trat die Notstandsverfassung in Kraft und die Alliierten verzichteten auf ihre Vorbehaltsrechte nach dem § 5 des Deutschlandsvertrags. Eine herbe Niederlage für die Kritiker, vor allem für die Studenten, die glaubten, mit dem Notstandsthema ein breites Bündnis auch mit den Arbeitern schaffen zu können. Darüber sind die Erfolge vergessen worden; denn ohne den öffentlichen Widerstand wären die Gesetze anders ausgefallen: Ursprünglich wollte die Regierung ein Notverordnungsrecht wie in der Weimarer Reichsverfassung. Die Regierung hätte dann bei Bedarf ganz ohne das Parlament handeln können. Stattdessen wurde ein "Gemeinsamer Ausschuss" aus Bundestag und Bundesrat geschaffen, der im Notstand die Entscheidungen fällt – auch die Entscheidung über den Eintritt des "Spannungsfalles" – einer Vorstufe des Verteidigungsfalles und des Verteidigungsfalles selbst. Ein solcher Fall ist bisher nicht eingetreten.


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