Bayern 2 - radioWissen


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Die Kraft der Melodie

Von: Jens Berger / Sendung: Martin Trauner

Stand: 28.10.2013 | Archiv

Geschichte
Literatur und Musik
RS, Gy

2013: Ganz Deutschland ist vom Wagnerjubiläum okkupiert. Doch in den Herzen vieler Opernfreunde steht an erster Stelle der gleichaltrige Giuseppe Verdi, dessen melodische und dramatische Einfälle immer noch in ihren Bann ziehen.

Eine Bilderbuchkarriere

Wie wurde aus dem scheuen jungen Mann, dessen Vater kaum lesen konnte, dem ein Platz am Konservatorium wegen mangelnden Könnens versagt blieb, dem in kürzester Zeit Frau und Kinder wegstarben, schließlich der bereits zu Lebzeiten bekannteste und beliebteste Komponist Italiens? Und nicht nur das - auch in der Außen- und Sozialpolitik Italiens hat Verdi (absichtlich oder nicht) Spuren hinterlassen, setzte er sich doch sich für ein geeintes Italien und für Fürsorge gegenüber den Armen und Alten ein.

Der Opern-Evolutionär

2013 feiern wir gleich zwei große Jubiläen: den 200. Geburtstag sowohl von Giuseppe Verdis als auch Richard Wagner. Zu beiden gibt es natürlich schon lange eine Fülle von Literatur, allerdings dann doch noch sehr viel mehr zu Wagner. Warum? Vielleicht deshalb: Wagner musste seine revolutionären Werke dem Publikum nahebringen, wollte erklären, warum er alles anders macht. Außerdem haben viele weitere Autoren gerade für den "Ring" eine Fülle an Einführungsliteratur geschrieben; das Publikum brauchtes sie offensichtlich.
Verdi machte es dem Publikum immer schon leichter. Er nahm es bei der Hand und führte Neuerungen behutsam ein, veränderte seinen Stil kontinuierlich und evolutionär. Dass er dabei zwischen seinen ersten und letzten Opern eine ähnlich große Wegstrecke wie Wagner zurücklegte, mag dann erstaunen. Aber ihm gelang, nach und nach das italienische Publikum von den gewohnten Erwartungen zu entwöhnen. (Schon in seinen ersten Opern lässt er z. B. den Chor nicht einfach plötzlich auf- und nach mehrstrophigem Gesang wieder abtreten, sondern nutzt die Menschenmasse wie eine handelnde Rolle.) Zu diesem Zwecke ging er bei der Stoffauswahl keine Kompromisse ein, griff zu Shakespeare und Schiller, lotete die Charaktere musikalisch sorgfältig aus. So stellte er alles in den Dienst des Dramas und warf unnötigen Ballast (z. B. die üblichen Wiederholungen einer Nummernoper) über Bord. Er machte die Sache spannend.


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