Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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11. März 1874 Erste Völkerausstellung bei Hagenbeck

Angefangen hatte der Tierparkgründer Carl Hagenbeck damit, dass er die Seehundbabys ausstellte, die seinem Vater beim Fischen ins Netz gegangen waren. Später wurden seine Exponate immer exotischer, bis er am 11. März 1874 seine erste Völkerschau eröffnete: mit Lappländern!

Stand: 11.03.2010 | Archiv

11 März

Donnerstag, 11. März 2010

Autorin: Susanne Tölke

Redaktion: Thomas Morawetz

Dreimal in seinem Leben ist der Mensch anfällig für den Tierpark: Das erste Mal als Kind, das zweite Mal, wenn er selber Kinder hat und das dritte Mal, wenn er alt geworden ist. Diese Erkenntnis des Tierparkgründers Carl Hagenbeck stammt zwar aus dem vorigen Jahrhundert, und so ziemlich alles im Zoo hat sich seitdem verändert, aber der Spruch, der stimmt noch immer. Hagenbeck muss schon als Menschenkenner auf die Welt gekommen sein.

Er war es, der den Vater, einen Hochseefischer, dazu überredete, die versehentlich im Schleppnetz gefangenen Seehundbabys in einem Bottich auf St. Pauli auszustellen. Der Erfolg gab ihm recht: Die Fischmarktbesucher schmolzen vor Rührung dahin und zahlten gerne 5 Pfennig für den Eintritt in "Hagenbecks Seehundzelt". Im Lauf der Zeit gesellten sich Papageien und Rhesusäffchen dazu, die der Junge den Matrosen abkaufte, aber auch heimische Frösche und Eidechsen, die er selbst gefangen hatte. Ein echter Jungunternehmer, dessen Motto "Fix oder nix" für schnelle Entscheidungen stand. Mit 21 zog er los, nach Afrika und Südamerika, engagierte Tierfänger, die die entferntesten Winkel der Welt nach Beute durchstreiften und betrieb bald eine große Tierhandlung, die alljährlich das "Verzeichnis des jetzigen Tiervorrates nebst Preisen" herausbrachte.

Von der Feldlerche bis zum Nilpferd konnte man alles kaufen, und Hagenbeck zählte nicht nur Kaiser Wilhelm zu seinen Kunden, sondern auch Kaiser Franz Joseph, den russischen Zaren, den Kaiser von Japan und die Sultane der Türkei und Marokkos. Wertvolle Transporte begleitete er selbst, wobei er nicht verhindern konnte, dass auf einer Reise zum Sultan von Marokko ausgerechnet der Löwe einen Hitzschlag erlitt und der Eisbär gesund blieb. Den abenteuerlichsten Transport musste er ganz spontan organisieren, als ihn ein Telegramm aus Suez erreichte, der Italiener Lorenzo Casanova sei schwerkrank, er böte Hagenbeck seine gesamte Menagerie zum Sonderpreis an. Was tun? "Fix oder nix", die Hagenbecksche Devise, gab den Ausschlag. Er fuhr los, fand Casanova gerade noch am Leben, holte den englischen Notar und zahlte 2000 Pfund in bar.

Den Gegenwert fand er im Hof, teils an Palmen gebunden, teils in Käfige gezwängt: Löwen, Panther, Leoparden, Hyänen, Nashörner und Strauße. Der Transport der Menagerie bis nach Hamburg war eine der seltenen Gelegenheiten, wo selbst der fixe Hagenbeck einem Nervenzusammenbruch nahe war.

Fortan delegierte er die Tierfängerei an seine Jagdspezialisten in aller Welt, blieb in Hamburg und gründete den ersten Tierpark. Als er Elche und Rentiere aus dem hohen Norden erwarb und den Landschaftsmaler Heinrich Leutemann schöne Holzhäuschen und Fjorde an die Mauern malen ließ, kam der Künstler auf den Gedanken, man könne doch auch echte Lappländer ins Gelände setzen, um das Ganze noch echter wirken zu lassen. Hagenbeck überlegte nicht lange, fix oder nix, und schaffte es innerhalb eines Monats, eine ganze Lappensippe im Tierpark einzuquartieren. Die Männer fingen die Rentiere mit dem Lasso, die Frauen gaben ungeniert den Säuglingen die Brust, und wieder waren die Hamburger begeistert.

Seit dieser Premiere am 11. März 1874 gab es viele Völkerschauen bei Hagenbeck: Beduinen, Indianer, Feuerländer und Kalmüken. Sie alle bauten Zelte auf, molken ihre Tiere, kochten auf dem Gelände und bauten sie wieder auf. Dass es sich hier um eine Art Menschenzoo handeln könnte, hat erst die postkoloniale Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erkannt. Dabei hätte man es schon 1879 merken können, als die ersten Patagonier ausgestellt wurden. Pikjotke, das Familienoberhaupt, bekam Heimweh und sattelte sein Pferd, um nachhause zu reiten. Als man ihm mühsam erklärt hatte, dass das nicht möglich sei, legte sich der kleine Mann aus Feuerland ins Gras und starb noch in derselben Nacht.


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