Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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8. Oktober 1498 Vasco da Gama fährt von Indien heim

Ein Aufbruch verspricht Abenteuer, Entdeckungen und Dramatik. Das dachte sich vermutlich auch Seefahrer Vasco da Gama. Dabei ist das Heimkommen manchmal das eigentlich dramatischere Ereignis. Autor: Sebastian Kirschner

Stand: 08.10.2020 | Archiv

06 Oktober

Dienstag, 06. Oktober 2020

Autor(in): Sebastian Kirschner

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Heimfahren nervt. Entweder, weil es nach Feierabend nur noch die quälende Strecke nach Hause ist. Oder, noch schlimmer: Weil meist das Schöne, das Abenteuer, die Abwechslung vom Alltag vorbei ist. Der Urlaub, die Dienstreise, der Wochenendausflug, der Besuch bei Freunden oder Familie.

Dann hetzen wir zum Flug, wir stehen im Stau, schwitzen oder frieren. Die quäkenden Kinder im Auto zerren an den Nerven. Oder wir stehen dicht an dicht im mal wieder überfüllten Zug, hoffen, dass wir den Anschluss noch erwischen. Im Kopf gehen wir schon die To-do-Liste der nächsten Woche durch. Ach ja, und die Wäsche muss ja auch noch gemacht werden.

Wer denkt schon an ihre Rückreise?

Großen Entdeckern geht es da nicht anders. Alle sehen immer nur das Ankommen, den Erfolg, die Eroberung. Neil Armstrong, wie er als erster Mensch den Mond betritt. Roald Amundsen, der als Erster den Südpol erreicht. Ein Gänsehautmoment, als Schauspieler Gerard Depardieu als Christoph Kolumbus im Wasser auf die Knie fällt, als er Amerika erreicht. Wer denkt schon an ihre Rückreise?

Dabei ist die Heimfahrt oft das viel dramatischere Ereignis. Der mythische Held Odysseus braucht nach dem Krieg gegen Troja Jahre dafür. Hat mit einer Zauberin und einem Riesen zu kämpfen, um dann zuhause auch noch Gattin und Thron zurückzuerobern. Und auch Vasco da Gama, der einst den Seeweg nach Indien entdeckt, hätte sicher einiges von seiner Rückfahrt zu erzählen.

Das Schlimmste kam noch

Als der Portugiese am 8. Oktober 1498 in Calicut im Südwesten Indiens aufbricht, hat er es geschafft. Ruhm und Ehre sind ihm sicher. Vor über einem Jahr ist er in Lissabon aufgebrochen. Nun werden seine Schiffe nicht nur voll beladen mit kostbaren Gewürzen zurückfahren. Viel wichtiger:

Mit dem Seeweg nach Indien ist Europa nicht länger abhängig vom mühseligen Landweg – und damit von Türken, Arabern und Persern, die diese Route beherrschen.

Doch wenn da Gama glaubt, das Schlimmste hat er hinter sich, dann irrt er: Den König und die Kultur, auf die der Seefahrer in Calicut getroffen war, hat er gehörig unterschätzt. Da Gamas Gastgeschenke – Stoffe, Korallen, Hüte – hatten wie Plunder gewirkt. Nur mit Mühe entgehen seine Leute einer Gefangenschaft. Erst gegen eine gehörige Summe Geld lässt man sie wieder ziehen.

Und nicht nur das. Auf ihrer Rückreise wütet unter den Portugiesen der Skorbut. Das Zahnfleisch ist bei vielen derart geschwollen, dass kaum einer essen kann. Die Mannschaft beginnt zu meutern. Vascos geliebter Bruder, Paulo da Gama, kann sie beschwichtigen: Er setzt all sein privates Hab und Gut ein, um den Kranken zu helfen. Doch auch ihn wird Vasco da Gama verlieren.

Paulo ist tödlich erkrankt. Einige Wochen bleibt Vasco bei ihm auf den Azoren, dann fährt er weiter. Das traurige Ergebnis, als der Entdecker im September 1499 Lissabon erreicht: Von einst vier Schiffen kehren nur zwei zurück, von 170 Mann sind nur noch 55 am Leben. Sein Bruder Paulo ist nicht dabei.

Immerhin: Ein kleiner Trost bleibt Vasco da Gama nach seiner Rückkehr. Nämlich der, sich nicht verfahren zu haben. Denn da Gama kehrte von dort zurück, wo Kolumbus ein paar Jahre zuvor eigentlich landen wollte. Vasco da Gamas Konkurrent hatte Zeit seines Lebens behauptet, nicht in Amerika, sondern doch in Indien gewesen zu sein.


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