Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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8. Dezember 1923 Uraufführung von Brechts "Baal"

Das Drama "Baal“ des jungen Bertolt Brecht sorgte bei seiner Uraufführung Leipzig für einen handfesten Skandal: Der Titelheld ist ein Asozialer "in einer asozialen Gesellschaft". Autorin: Justina Schreiber

Stand: 08.12.2020 | Archiv

08 Dezember

Dienstag, 08. Dezember 2020

Autor(in): Justina Schreiber

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Dass es der Leipziger Oberbürgermeister war, der gleich am Tag darauf ein Machtwort sprach, machte den Skandal erst richtig zum Skandal. Was verstand so ein alternder Bürokrat schon von der Kunst, geschweige denn von der vielleicht „"genialischen" szenischen Ballade eines jungen Dichters, der mit seinen zerbeulten Cordhosen und dieser Kassengestell-Brille auf jeden Fall echt total cool rüberkam? Okay, zugegeben – das Stück artet unterm Strich in ein verbales Schlammbad aus. Aber die Hauptfigur lebt sich eben aus, in ihrer ganzen Geilheit und exzessiven Versoffenheit und – logisch – auch in ihrem gemeinen menschenverachtenden Zynismus. 

Ein wilder Viechskerl

Wo ist das Problem? Nun ja, das Problem war wohl, dass etwa die Hälfte des Publikums nur Bahnhof verstand, als Bert Brechts Stück "Baal" am 8. Dezember 1923 im Alten Theater in Leipzig uraufgeführt wurde. Dieser Baal benimmt sich wie die Axt im Walde, abgesehen von den Passagen, in denen er mit lyrischen Worten jungfräuliche Hüften und überhaupt den Sex besingt. Er trinkt, er hurt, er frisst, er lügt und hintergeht. Und trotzdem fliegen ihm die Herzen vor allem der weiblichen Nebenfiguren zu. "Wie kannst du Glück bei den Frauen haben?" fragt ihn denn auch der Freund, dessen keusche Geliebte sich Baal dann postwendend ebenfalls in die Arme schmeißt. Warum? Was machte diesen "wilden Viechskerl" so attraktiv? Und was wollte dieser "maitolle Bursche" mit seinen Liedern bloß sagen? Dass er in einem Mutterschoße aufwuchs und dass sein liebster Ort die Toilette sei? Man, also das "normale" Volk, konnte und wollte dem Meister hier nicht folgen. Mochte er tausend Mal mit einem kosmischen Geist oder heidnischen Gott in Kontakt stehen und von archaischen Trieben künden, einige Zuschauer riss es förmlich von ihren Plätzen. "Erklären Sie mal das Gedicht!" forderte ein Sachse den Hauptdarsteller auf.

Andere machten laut ihre Witze und störten – immer unruhiger werdend - insbesondere das Ende des auf der Bühne einsam "verreckenden" Baal. Die kulturbeflissene Avantgarde wiederum hielt mit Bravostimmen dagegen. Als der Vorhang fiel, glich der Saal einem Hexenkessel, Pfeifen, Pfuirufe, Trampeln, Applaus. Der Verursacher des heillosen Chaos jedoch wagte sich nur an der Hand des Intendanten hervor.

Genialer Schmarrn

Bert Brecht soll mit der Miene eines Unschuldslammes verschüchtert, fast ängstlich auf das Getöse geblickt haben. Was umso mehr verwunderte, als der 25-jährige Jungautor das Ensemble bei den Proben ziemlich selbstherrlich traktiert hatte – durchaus mit Erfolg. Trotz seines strengen Körpergeruchs, seiner vom Zigarrenkonsum bereits braun vergilbten Unterlippe und der schlampigen Bekleidung, die seine (graue) Unterhose sehen ließ, waren ihm die Herzen der Schauspieler und vor allem die der Schauspielerinnen letztlich zugeflogen. Der unrasierte Typ galt schlichtweg als der neue Gott am deutschen Theaterhimmel. Aber die Kritiker ließen sich nicht so leicht um den Finger wickeln. Ihr Urteil lautete: Das Drama war keins, sondern vielmehr ein unausgegorener, pubertärer Schmarrn. Dass die Stadt das Stück sofort nach der Premiere absetzen ließ: diesen Skandal hatte Baal eigentlich gar nicht verdient.


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