Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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25. Oktober 1983 Udo Lindenberg tritt in Ost-Berlin auf

Was viele nicht zu sagen wagen, sagen sie doch, man muss sie nur fragen. Zumindest will das die Reihe "Schulmädchen-Reports" glauben machen: Diese Filme wissen, was Frauen heimlich wollen. Angeblich. Autor: Johannes Roßteuscher

Stand: 25.10.2019 | Archiv

25 Oktober

Freitag, 25. Oktober 2019

Autor(in): Johannes Roßteuscher

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Das gibt’s ja öfter: Dass ein vergleichsweise banaler Song der größte Hit wird einer Band oder eines Sängers. Die Fans müssen dann die Augen verdrehen und genervt erklären, wie viele bessere Lieder … zum Beispiel … oder das, aber das kennt natürlich kein Mensch.

Zum Beispiel: 
Stell Dir vor, Du kommst nach Ostberlin.
Und da triffst Du ein ganz heißes Mädchen.
So ein ganz heißes Mädchen aus Pankow.

Eine schöne Ballade ohne jeden Schmalz aus dem Jahr 1973. Und sie enthält schon die später berühmt gewordenen Reizworte: Pankow, Ostberlin, DDR. Ich will da hin, und wenn ich schon nicht bei dem Mädchen übernachten darf, dann wenigstens: singen.

Hallo Erich kannst mich hören?

Seit den frühen 70er Jahren wollte der erste deutsche Panikrocker Udo Lindenberg in der DDR auftreten. Im Weg war eine Mauer – und die Staatssicherheit. Vermerk: mittelmäßiger Schlagersänger der BRD. Auftritt in der DDR kommt nicht in Frage. Und das blieb jahrelang so. Dann treten auf: ein geschickt verhandelnder Sozialist aus dem Westen, ein etwas offener Funktionär aus dem Osten, und ein Zug von West nach Ost. Der Sozialist ist Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins und Udos Unterhändler. Der Ost-Funktionär ist FDJ-Chef, heißt Egon Krenz und entwickelt die Idee, man könnte doch diesen eigentlich ganz netten, friedensbewegten und in Ost wie West gleichermaßen populären Typen ein bisschen vor den eigenen Karren spannen.  Und der Zug? Entschuldigen Sie, ist das der Sonderzug nach Pankow?

Entschuldigen Sie…?

Auf den amerikanischen Ohrwurm Chattanooga Choo Choo dichtet Udo Lindenberg 1983 einen seiner, sagen wir, einfacheren Texte.

Teils ganz lustig, immer wieder sagenhaft platt – und natürlich ziemlich frech. Die Musiker des Panikorchesters warnen: wenn Du das singst, wirst Du nie drüben auftreten. Die Stasi sieht es genauso. Nur Honni findet den Text offenbar gar nicht so schlimm. Völlig überraschend gibt Honecker Krenz freie Hand, Lindenberg einzuladen. Für ein Friedenskonzert. In den Palast der Republik. Udos Gegenbedingung: eine Tour durch die DDR.  Sie wird schriftlich zugesagt.

Am 25. Oktober 1983 überqueren Udo Lindenberg und sein Panikorchester an der Invalidenstraße in Berlin die innerdeutsche Grenze. Udo wirkt cool wie immer. "Ich war nervös, extrem nervös", erzählt er später.

Vor dem Palast der Republik eine riesige Menge Fans. Die Leute drücken gegen die Absperrgitter, rufen Udo-Sprechchöre. Drinnen im Palast dann nur Ausgewählte: 4000 FDJ-Mitglieder und Parteikader. Udo spricht erst brav vom Frieden, die Leute klatschen, und wettert dann über amerikanische und sowjetische Raketen gleichermaßen. Die Leute klatschten, auch zum Satz über die Sowjetraketen.

Während Udo singt: Wir sind Rocker, und wir stehen nicht auf Gewalt, geht draußen die Staatssicherheit gegen die Fans vor, alles andere als gewaltlos. Die Stasi erkennt und notiert erschreckt, wie sehr Udo die Leute mobilisieren kann – die versprochene Tour wird abgesagt. Dauerhaft. Kein Konzert mehr bis zum Mauerfall. Aber manche behaupten ja, Udos Auftritt und die unsouveräne Reaktion der DDR-Führung, hätten vielleicht 1983 so etwas wie einen ersten kleinen Riss in die Mauer gemacht.


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