Henrietta wollte keinen Ärger mit der Werbeaufsichtsbehörde. Ihre Internetfirma Queercompany war spezialisiert auf Finanzberatung für Schwule und Lesben. Für die neue Website brauchte es eine aufsehenerregende Plakatkampagne. Einen kleinen Skandal, aber kein Verbot. Denn Verbote gab es für die britische Homosexuellencommunity schon genug.

Keine Frauenküsse für Margareth Thatcher

Es war das Jahr 2000 und im Vereinigten Königreich galt noch immer der sogenannte Section 28. Margareth Thatcher hatte den stark umstrittenen Paragraphen 1988 verabschiedet. Er verbot allen staatlichen Einrichtungen die "Förderung von Homosexualität". Mit Schülern im Unterricht über Homosexualität sprechen und ihnen erklären, dass auch gleichgeschlechtliche Liebe völlig ok ist? Im Großbritannien des Jahres 2000 war das ein gesetzliches No-Go! Die neu gewählte Labour-Regierung unter Blair wollte den Section 28 abschaffen, aber der Prozess ging nur schleppend voran.

Umso besser liefen die Fotoaufnahmen für Queercompany. Nachdem ein Assistent den Models zwei weiße T-Shirts besorgt hatte, konnte die Fotografin Tanya Chalkin endlich auf ihre Leiter klettern und das Foto ihres Lebens schießen: zwei Frauen auf einem Bett, eng aneinander geschmiegt, sich zärtlich küssend.

10.000 Pfund für ein Coming-Out

Am 28. Dezember 2000 wurde das schwarz-weiß Plakat in der Londoner Innenstadt aufgehängt – und brachte das Blut der Briten in ungewohnte Wallung. Die einen waren ergötzt, die anderen entsetzt - und wieder andere motzten rum, dass es sich mal wieder nur um dünne Modelmädchen statt um "echte" Frauen handle. Besonders Großbritanniens Eltern jedoch sahen durch das Plakat ihren Nachwuchs in Gefahr. Vorneweg Mr. und Mrs. Denholm, die Eltern von Tabitha, dem küssenden Model rechts im Bild. Das Plakat hatte im Königreich für derartigen Wirbel gesorgt, dass die Boulevardpresse die Models ausfindig machte, um sie zu interviewen.

Für Tabithas puritanische Eltern ein Albtraum. Nicht nur dass ihre 25 jährige Tochter halbnackt in Überlebensgröße mitten in London eine andere Frau abknutschte – nun war sie auch noch mit einem Oben-ohne-Foto in der Zeitung zu sehen und plauderte über ihre angebliche Bisexualität. Jahre später erzählte Tabitha grinsend, dass es ihr nur ums Geld gegangen war. 10.000 Pfund hatte ihr die Zeitung geboten - aber nur, wenn sie blank zog und sich als bi outete. Heute wäre Tabithas Fake-Outing keinen Penny wert. Frauen im Vereinigten Königreich dürfen inzwischen nicht nur andere Frauen küssen, sie dürfen sie auch heiraten und mit ihnen Kinder großziehen. Dasselbe gilt natürlich für Männer. Der Section 28 ist genauso im Papierkorb der Geschichte gelandet, wie Tabithas teuer erkauftes Oben-ohne-Foto. Was übrig blieb ist: "The Kiss", das einstige Werbeplakat. Zwei Frauen, die sich zärtlich umschlungen halten. Es hängt heute als Poster in vielen Bars und Studentenwohnungen und ist längst kein Skandal mehr, sondern Kult.