Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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24. November 1874 Der Stacheldraht wird patentiert

Einst hatte man als Cowboy alle Hände voll zu tun, um die Rinderherde zusammen zu halten auf dem Weg über die weiten Ebenen des Westens. Dann brachte Joseph Glidden den Stacheldraht auf den Markt. Das wiederum machte den Cowboy beim lieben Vieh nahezu arbeitslos. Autor: Herbert Becker

Stand: 24.11.2022 | Archiv

24 November

Donnerstag, 24. November 2022

Autor(in): Herbert Becker

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Was verbinden wir mit dem Begriff "Cowboy"? Genau: Freiheit und Abenteuer, weites Land und Lagerfeuerromantik. Freilich, unser Bild vom Cowboy ist stark beeinflusst von den vielen Western, die wir gesehen haben und die nicht unbedingt die Wirklichkeit des Cowboylebens wiedergeben. Aber ganz unrealistisch ist das Bild, das Hollywood von den Cowboys zeichnet, auch wieder nicht. Diese Männer mussten wirklich reiten können, vielleicht sogar schießen. Bei der Verfolgung ihrer Ziele waren nicht in erster Linie gute Manieren und Verhandlungsgeschick gefragt, sondern Durchsetzungsvermögen. Etwas Anderes haben uns Gary Cooper und John Wayne, Clint Eastwood und Robert Redford nie vorgemacht.

Colt und Hut

Aber egal. Vorbei ist vorbei. Es gibt keine Cowboys mehr. Das Ende ihres Berufsstandes kam auf eine Weise, die sich keiner von ihnen hätte träumen lassen: Der Stacheldraht wurde erfunden.

Er änderte alles. So genannte claims waren vorher schon abgesteckt worden, Landstücke, auf die jemand Anspruch erhob und einzäunte. Aber durch den Stacheldraht verlor man bei der Absteckerei jedes Maß aus den Augen. Am 24. November 1874 erhielt ein gewisser Joseph Glidden das Patent; und nicht lange danach war das Land von Stacheldrahtzäunen durchzogen. Ein Viehtrieb in der herkömmlichen Art war ein für alle Mal unmöglich geworden.

Was ein Gewirr!

Was taten die Cowboys? Wie reagierten sie auf die Herausforderung?
Wir sagen es ungern, aber sie hatten Mister Gliddens Erfindung nichts entgegenzusetzen. Es hätte ein Ruck durch die Cowboygesellschaft gehen müssen - aber er blieb aus. Viele der Rinderhirten werden sich niedergelassen und selber Zäune gespannt haben, andere fanden vielleicht einen Job bei der Eisenbahn, die gerade ihren Betrieb aufnahm, und wer sein Leben wenigstens halbwegs so weiterführen wollte wie gewohnt, ging zur Army. Das stellen wir uns jedenfalls vor - denn wo, wenn nicht beim Militär, haben die Verhaltensmuster des Wilden Westens bis heute ihre Gültigkeit?

Wo sonst dürfen Männer noch Männer sein? Wo sonst gibt es noch die glasklare Unterscheidung zwischen good guy und bad guy, dem, der auf der richtigen Seite steht und dem Schurken? Und wo sonst kommt es nicht in erster Linie auf gute Manieren und Verhandlungsgeschick an, sondern darauf, dass man sich mit der Waffe in der Hand durchsetzt? Eine "smoking gun", ein "rauchender Colt", der beweist, dass der andere der Böse ist, findet sich immer; und wenn nicht, macht es auch nichts.

Schön ist auch, dass man beim Militär mit dem einmal entwaffneten und gefangen genommenen Gegner nicht so zimperlich umzugehen braucht. Er soll ruhig spüren, was es heißt, gegen Recht und Gesetz verstoßen zu haben. Debatten darüber, wer das Recht auf seiner Seite hat, gibt es nicht. Und wenn doch, dann verfrachtet man den Gegner einfach in einen rechtsfreien Raum – am besten auf eine Insel. Du meine Güte, einem Cowboy westlich des Rio Pecos stand schließlich auch nicht ständig ein Richter zur Verfügung!

Der Cowboy von heute knüpft seinen Gefangenen sowieso nicht mehr gleich auf. Hat er gar nicht nötig; er kann ihn ja erst mal einsperren. Zu was gibt´s schließlich Stacheldraht!


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