Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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1. Juni 1497 Sebastian Brants Narrenschiff wird internationaler Erfolg

Das erfolgreichste deutschsprachige Buch vor der Reformation: Sebastian Brants "Narrenschiff". Über 100 Narren sind in dieser spätmittelalterliche Moralsatire unterwegs nach Narragonien - eine Welt der Laster, Skurrilitäten und Absurditäten und noch dazu eine höchst unterhaltsame Satire. Autorin: Carola Zinner

Stand: 01.06.2023 | Archiv

01 Juni

Donnerstag, 01. Juni 2023

Autor(in): Carola Zinner

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Mit nichts lassen sich Menschen so unterhalten wie mit Geschichten über die Dummheit und das schlechte Benehmen anderer. Wichtigtuer und Gierhälse, Modegecken, Streithansel, Sexomanen: die Reihe der Narren ist lang und bunt, und als Sebastian Brant 1494 in einem Buch schilderte, wie sie alle einen Platz ergattern auf dem großen "Narrenschiff" Richtung Narragonien, konnte das eigentlich nichts anderes werden als ein Besteller.

Schamlos vergnügliche Dummheit

Denn ließ sich gedruckt nachlesen, was noch 40 Jahre zuvor, sprich vor der Erfindung des Buchdrucks, einem winzigen Kreis von Gelehrten vorbehalten war: wie schamlos sich biblische Figuren und solche aus der antiken Sage benommen, mit welcher Dummheit sie sich um ihr Lebensglück gebracht hatten. Natürlich diente all das nicht etwa dem Vergnügen, sondern, wie der Autor im Vorwort betont, vor allem der Selbsterkenntnis und Läuterung der geschätzten Leserschaft: Hier wird an Narren nicht gespart, / Ein jeder findet seine Art, / Hier findet man der Welten Lauf / Drum ist dies Büchlein gut zum Kauf... : Ja, Brant wusste, wie es ging, deshalb war auch jede der mehr als 100 "Narrenschiff"-Geschichten bebildert, und zwar von erstklassigen Künstlern, zu denen vielleicht - genau weiß man es nicht - auch der junge Dürer gehörte. Brant wusste aber natürlich auch, dass der Markt für deutschsprachige Bücher begrenzt war: Internationale Sprache war Latein; wenn das Werk richtig groß rausgekommen sollte, musste eine Übersetzung her.

Wir sitzen alle in einem Boot

Sowas allerdings braucht Zeit, und die hatte der Basler Rechtsgelehrte nicht; gab es doch viel zu viele Bereiche, in denen er sich tummeln, zu viele Themen, über die er schreiben musste, weil doch alles, alles so furchtbar interessant war in dieser Zeit des Aufbruchs, der Neuerungen und des Zerfalls dessen, was bisher die Welt zusammengehalten hatte. Schließlich übernahm Jakob Lochner, ein ehemaliger Student Brants, der sich mittlerweile selbst als Autor einen Namen gemacht hatte, die mühevolle Arbeit der Übersetzung. Oder, genauer gesagt, der Nachdichtung, denn Lochner ging ausgesprochen forsch an die Sache ran; er strich, formte um, glättete - und schuf auf diese Art eine kongeniale Variante des Textes. Dass Brant damit offensichtlich einverstanden war, spricht ebenso für seine Toleranz wie für seine Klugheit, denn "Stultifera navis", erschienen am 1. Juni 1497, wurde eines der erfolgreichsten Werke der europäischen Literatur.

Die lateinische Version des "Narrenschiffs" erlebte hunderte von Auflagen und diente als Grundlage für Übersetzungen in zahlreiche weitere Sprachen. Schade nur, dass die vielen und viel gelesenen Belehrungen, die Ratschläge, die negativen Beispiele die Menschheit trotzdem nicht wirklich weitergebracht haben. Man muss nur in die Zeitung schauen, um all die alten Eitelkeiten, Dummheiten und Sünden weiter fröhlich durch die Welt segeln zu sehen. Das hat zwar, was den Unterhaltungswert angeht, durchaus sein Gutes. Doch dabei gerät leicht die wichtigste Botschaft aus Brants Text in Vergessenheit, die da lautet: Wir sitzen alle in einem Boot.


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