Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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22. November 1959 Das Sandmännchen wird zum ersten Mal gesendet

Seit Jahrzehnten bringt er die Kinder ins Bett, erst im Osten, nach der Wende in der gesamten Bundesrepublik. Und das Sandmännchen fliegt noch viel weiter, denn auch die Fernsehsender anderer Länder wollen den kleinen Einschlafhelfer und seine bunten Geschichten allabendlich im Programm. Autor: Hartmut E. Lange

Stand: 22.11.2022 | Archiv

22 November

Dienstag, 22. November 2022

Autor(in): Hartmut E. Lange

Sprecher(in): Irina Wanka

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Anfang November 1959, Krisenstimmung beim Deutschen Fernsehfunk in Berlin-Adlershof. Intendant Heinz Adameck ist empört: "Die gegnerische Absicht ist völlig klar, die wollen uns Zuschauer wegnehmen!" Mit Gegner meint er das Fernsehen im Westteil der Stadt. Er reicht Programmchef Heynowski einen Zettel, die kurze Pressemeldung ist der Grund für seine schlechte Laune:

Der Sender Freies Berlin startet ab Dezember eine neue Sendereihe, täglich um 18 Uhr 55. Sandmännchen - ein Gute-Nacht-Gruß für Kinder.

Dann erteilt er seinem Stellvertreter einen Auftrag: "Wir müssen nicht nur schneller, wir müssen auch besser sein!"

Import aus Dänemark: Ole Luköle, der alte Augenschließer

Die Figur des Sandmanns stammt aus Skandinavien, Hans Christian Andersen hat sie erfunden. Das zwergenhafte Männlein hat einen Spitzbart, trägt eine Zipfelmütze und kennt jede Menge Geschichten, die es abends den Kindern erzählt. Danach greift es in ein Säckchen mit Schlafsand, verstreut eine Prise im Raum, und schon können die kleinen Zuhörer gut einschlafen. Jedes Kind in Dänemark kennt diesen Ole Luköje, den alten Augenschließer.

Einen täglichen Abendgruß senden die Adlershofer schon seit einem Jahr, aber eine Rahmenhandlung mit Sandmann gibt es noch nicht. Der Programmchef reicht den Auftrag an Gerhard Behrendt weiter. Der begabte Puppengestalter und Regisseur hat sein Handwerk im DEFA-Trickfilm-Studio Dresden gelernt. Nun schlägt seine große Stunde, besser gesagt: Stunden. Denn Behrendt arbeitet Tag und Nacht, im Wettlauf gegen die Zeit, und den SFB.

Bereits zwei Wochen später, am 22. November 1959, wird zum ersten Mal das Sandmännchen im DDR-Fernsehen gesendet, 8 Tage vor dem Start des West-Sandmanns! Der Film ist ein Riesenerfolg, aber auch ein Aufreger:
Nach getaner Arbeit - Einschlafgeschichte erzählen, Schlafsand verstreuen - verabschiedet sich der freundliche Gast winkend von den Kindern, geht ein paar Schritte um die Ecke, und schläft - im Schnee sitzend! - an eine Hauswand gelehnt ein. Empörte Eltern schreiben dem Sender, Kinder bieten dem Sandmann ihr Bett an.

Der Fehler wird schnell behoben, und zu Fuß gehen ist auch bald passè. Über 300 Fortbewegungsmittel wird der Einschlafhelfer gemalt bekommen, vom Pferdeschlitten über Moped, Auto, Traktor, bis hin zur Mondrakete.

Zuschauerliebling und Devisenbringer

Sandmännchen wird Zuschauerliebling, und viele TV-Stationen interessieren sich für den Puppentrick-Abendgruß aus der DDR. Nicht nur in Ostblockstaaten, auch in Skandinavien, Griechenland, Portugal und Indien begleitet der kleine Kerl die Kinder in den Schlaf - er wird zum Devisenbringer.

Nach der Wiedervereinigung kommt das Gerücht auf, mit der Abwicklung des DDR-Senders solle auch der Sandmann vom Bildschirm verschwinden. Eine Welle der Empörung bricht los: Presse, Rundfunk und Fernsehen kritisieren einhellig, Politiker melden sich kämpferisch zu Wort, körbeweise Protestbriefe treffen ein.

Doch es kommt anders. Neben der Krimireihe Polizeiruf 110 ist das Sandmännchen das einzige Ost-Format, das die Wende überlebt und weiterhin erfolgreich gesendet wird, im ARD-Programm von MDR und RBB, und im Kinderkanal KIKA. Damit noch lange nicht gute Nacht, lieber Sandmann.


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