Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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12. April 1831 Resonanzkatastrophe: Broughton Suspension Bridge stürzt ein

Die Broughton Bridge war eine der ersten Hängebrücken Europas. Doch berühmt wurde sie, als sie infolge von Resonanzschwingungen einstürzte, verursacht von marschierenden Soldaten.

Stand: 12.04.2021 | Archiv

12 April

Montag, 12. April 2021

Autor(in): Hellmuth Nordwig

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Manchester und der Kapitalismus: Das gehört um 1830 längst zusammen. Maschinelle Webstühle haben die industrielle Revolution eingeläutet, Entfernungen schrumpfen dank des Dampfschiffs und neuer Kanäle, und der Zug ins gut 50 Kilometer entfernte Liverpool braucht nur noch eine Stunde. Ja, Technik kann einfach alles!

Beschwingt

John Fitzgerald, ein Schlossherr am Rande von Manchester, nutzt sie in seinem Sinne. Er lässt kurzerhand eine Brücke über den Fluss Irwell bauen, damit die zahlreichen Arbeiter sich auch auf der anderen Seite ansiedeln können. Seine Broughton Bridge ist eine Hängebrücke, die lässt sich schnell bauen und ist billig. So kann Fitzgerald in bester Manchester-Manier schon bald Maut von den Passanten verlangen, die für die 50 Meter über den Irwell jetzt keinen weiten Umweg mehr in Kauf nehmen müssen.

Das Geld fließt reichlich - bis zum 12. April 1831. An jenem Dienstag kehrt das 60. Schützenregiment von einem Manöver zur Mittagspause in seine Kaserne zurück. Schön in Viererreihen, wie sich das gehört. (SprecherIn pfeift Marschlied) Fröhlich pfeifend natürlich, was für einen gewissen Gleichschritt sorgt. Die Brücke scheint sogar auf und ab mitzuschwingen im Rhythmus, und das freut wiederum die Soldaten, die gleich noch ein bisschen zackiger marschieren.

Wer in Physik nicht geschlafen hat, der weiß natürlich um die Gefahr, die sich hier anbahnt. Das liegt an der Resonanz: A von t, das ist ja gleich F null geteilt durch 2 m Omega null mal t - wir kennen das natürlich, die Menschen damals leider nicht. Die Brücke wird demnach umso stärker schwingen, je kraftvoller und je länger die Soldaten stampfen.

Nicht anders als bei einer Gitarrensaite: Wenn wir nur laut genug Musik hören, schwingt die mit, selbst wenn das Instrument an der Wand hängt.

Nun gibt es aber doch einen Unterschied zwischen einer Saite, die zum Schwingen gedacht ist, und einer Brücke. Ein paar Soldaten sind schon drüben, da gibt es einen lauten Knall, ein Stützpfeiler gibt nach, die Brücke gerät in gewaltige Schräglage und der Rest der Kompanie rutscht fünf Meter tief in den Irwell. Zum Glück sind keine Toten zu beklagen.

Bitte nicht singen!

Das Unglück hat Folgen. In Großbritannien dürfen Soldaten seitdem auf Hängebrücken nicht mehr im Gleichschritt marschieren, nicht einmal singen oder pfeifen. In Deutschland verbietet das natürlich die Straßenverkehrsordnung, Paragraph 27 Absatz 6. Auch werden Brücken seitdem besser überwacht, nachdem sich in Manchester herausgestellt hatte, dass die Verankerung viel zu schwach war. Überraschungen gibt es aber immer noch: Im Jahr 2000 wurde in London die Millennium Bridge freigegeben. Schon bald schwankte sie nicht auf und ab, sondern seitlich hin und her, womit keiner gerechnet hatte. Woraufhin die Passanten in einen kollektiven Seemannsgang verfielen, was den Effekt weiter verstärkte. Zwar hat diese Brücke gehalten und der Fehler ist behoben - aber Ingenieure haben daraus gelernt, dass sie auch das Verhalten von Menschen berücksichtigen müssen. Technik ist eben doch nicht alles, und eine Brücke hält nur so lang wie ihr schwächstes Glied.


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