Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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10. September 1945 Mike, geköpfter Hahn, lebt einfach weiter

Eigentlich wollte Farmer Olsen den Hahn Mike um Kopf und Kragen bringen. Mike überstand jedoch den Enthauptungsversuch. Und wurde kopflos eine tierische Berühmtheit.

Von: Prisca Straub

Stand: 10.09.2019 | Archiv

Illustrierter Fuchs, Zahl 10, Grafik von: Viola Dandl | Bild: BR/Viola Dandl

10 September

Dienstag, 10. September 2019

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Sein Name war Mike - und seine Karriere begann damit, dass man ihm den Kopf abhackte. Doch Mike lebte weiter. - "Nicht ungewöhnlich für einen Hühnervogel, nach dem Köpfen noch ein wenig zu flattern", dachte Farmer Lloyd Olsen - und legte das Schlachtermesser beiseite, ohne Mike einen weiteren Blick zu gönnen.

Doch 30 Minuten später sauste der Gockel immer noch über den Hof. Kopflos - und quicklebendig. Wie war das möglich? Als er sogar ansetzte, verstreute Körner vom Boden aufzupicken - ohne Kopf und ohne Schnabel - wurde seinem Besitzer flau im Magen. Kurzerhand sperrte er das Tier in eine alte Holzkiste, bestimmt würde Mike über Nacht sein Hahnen-Leben aushauchen. Doch der schob einfach seinen nicht mehr existierenden Kopf unter die Federn - mal rechts, mal links - und tat weiterhin, als sei nichts geschehen. Und trotzdem: Seit diesem 10. September 1945 sollte auf der bescheidenen Farm in Colorado nichts mehr so sein wie zuvor.

Huhn lebt ohne Kopf

Auch am nächsten Morgen tat Mike das, was er immer tat - rannte mit den Hühnern um die Wette, stolzierte auf der Hühnerleiter und versuchte sogar zu krähen: Erstickte Laute gurgelten aus der blutigen Halsöffnung. Da hielt Lloyd Olsen es nicht mehr aus und beschloss, das verstümmelte Tier untersuchen zu lassen; 400 Kilometer weit entfernt, beim nächstgelegenen Tierarzt. Die Diagnose klang schauerlich: Auch ohne Kopf war Mike nicht nur beschwerdefrei, sondern in Topform.

Wie war das möglich? Ganz einfach: Lloyd Olsen hatte den tödlichen Halsschnitt offenbar ungewöhnlich hoch angesetzt. Er hatte Mike sozusagen um Gesicht und Schnabel gebracht - ein Ohr und der größte Teil des Stammhirns waren aber unversehrt geblieben. Dank eines Blutgerinnsels war der Hahn nicht verblutet.

"Miracle-Mike" geht auf Tour

Farmer Olsen staunte nicht schlecht - und hatte plötzlich allerhand zu tun: mit einer Pipette mehrmals täglich Schleim und Dreck aus Mikes offenliegender Speiseröhre entfernen, Trinkwasser und Körnerbrei einträufeln. Dafür bekam er jede Menge Bier frei Haus - neugierige Nachbarn ließen eine Flasche nach der anderen springen, um einen Blick auf die ausgefallene Kreatur zu werfen.

Und Mike nahm Anlauf zu einer schrillen Karriere: Schon wenige Wochen später war er mit Foto-Reportagen im Time- und im Live-Magazin vertreten. Anschließend tourte er als "Miracle-Mike", als "Wunder-Mike", durch die USA. Los Angeles, San Diego, New York - Farmer Olsen scheffelte ein kleines Vermögen. Und Mike? Der nahm ganze vier Kilo zu - dank umsichtiger Pflege. Wenn nur dieses grässliche Gurgeln nicht gewesen wäre …

Auf der Heimreise von einer Tour war es dann plötzlich zu spät: Mitten in der Nacht in einem kleinen Hotel in Phoenix erstickte der Star ohne Kopf an einem zähen Schleimpfropfen - ganze 18 Monate nach seiner Enthauptung. Farmer Olsen war untröstlich - und natürlich: Er probierte es noch ein paar Mal mit anderen Hähnen. Doch so einen Treffer hat er nie wieder gelandet…


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