Bayern 2 - Das Kalenderblatt


1

7. November 1492 Meteorit von Ensisheim schlägt ein

In Zeiten großer Not und Unsicherheit blickt man schon mal hilfesuchend gen Himmel – und fühlt sich im unguten Gefühl gefühlsmäßig aber sehr bestätigt, kommt statt Segen von oben ein solider Brocken daher. Autorin: Julia Devlin

Stand: 07.11.2018 | Archiv

07 November

Mittwoch, 07. November 2018

Autor(in): Julia Devlin

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Ein leuchtender Feuerball zog einen großen Bogen übers Firmament. Glühte, brannte, flog und schlug mit Karacho auf einem Feld ein. Hoch spritzte die Erde, und ein Krater von einem Meter Tiefe war nun dort, wo mit viel Mühe der Bauer kurz zuvor die Stoppeln des abgeernteten Weizenfeldes untergepflügt hatte.

So begab es sich am 7. November 1492 in der Nähe des kleinen elsässischen Ortes Ensisheim. 

Der Aufprall des Brockens war in ganz Europa zu spüren. Also jetzt im übertragenen Sinn. Bis nach Rom, nach Wien und Paris drang die Kunde des rätselhaften Donnersteins.

Eingeschlagen!

Noch war man weit entfernt von neuen Medien, von Telegrammen, Zeitungen, Radio, Tagesschau. Trotzdem verbreitete sich die Nachricht mit einer Frequenz, die man heute als "viral" bezeichnen würde, dank Flugblättern. Die waren sogar illustriert, damit auch die des Lesens Unkundigen sich ein Bild des Ereignisses machen konnten. Da droht ein indigofarbener Himmel. Aus ihm fallen leblose Vögel und ja, der große Stein, der karminrote Strahlen schleudert und dann als ein unförmiges riesiges Gebilde im Feld liegt. Tiere fliehen in Panik.

Wow!

Aber viral kann etwas ja nur gehen, wenn es einen Nerv trifft. Und das tat der Donnerstein. Europa befand sich in einem Zustand kollektiver Erschütterung. Die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert war eine Zeit großer Verunsicherung. Krieg und Krankheiten, Überschwemmung und Dürre, Erdbeben und Kälte hatten die Menschen in eine Untergangsstimmung versetzt. Und der Stein, der mit Donnergetöse vom Himmel fiel, bestätigte nur die Ängste.

Zwar versuchte Kaiser Maximilian, der zufällig in der Nähe des Geschehens weilte, den Brocken zu einer ganz eigenen PR-Aktion zu nutzen. Er deutete ihn zu einem Zeichen göttlichen Segens in seinem aktuellsten politischen Konflikt.

Doch die meisten anderen sahen ihn als Vorboten größerer Zerstörung, einer Sintflut, einer Apokalypse, dem Ende der Welt.

Kein Wunder, dass es der 130 Kilogramm schwere Brocken zu Prominenz brachte. Bei Zeitgenossen wie dem Basler Humanisten Sebastian Brant, der auch Autor eines der Flugblätter zum Meteoriteneinschlag war. Auf Stichen Albrecht Dürers. In der Schedelschen Weltchronik. Und noch dreihundert Jahre später beschäftigte sich Johann Wolfgang von Goethe mit dem Ensisheimer Meteoriten.

Der Besucher aus dem All ist übrigens seit seiner Reise durchs Weltall und seinem Aufprall durchaus noch weiter herumgekommen. Zunächst in der Pfarrkirche von Ensisheim angekettet, gelangte er als Kriegsbeute vorübergehend nach Colmar, kehrte nach Ensisheim zurück und ist heute im Musée de la Régence zu bewundern. Stark abgemagert zwar, denn immer wieder wurden Stücke von ihm als Glücksbringer abgeschlagen. Aber immerhin noch so groß wie ein großer Kürbis.

Da liegt er, der Vorbote großer Katastrophen, Flugblattstar vergangener Epochen, jetzt von nüchternen Naturwissenschaftlern zum chondritischen Steinmeteoriten vom Typ LL6 reduziert. Ruhm ist vergänglich.


1