Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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10. August 1920 Erste Blues-Aufnahme einer schwarzen Künstlerin

Als erste Bluessängerin und schwarze Künstlerin feierte sie mit dem "Crazy Blues" einen Millionenerfolg: Mamie Smith. Viele Käufer waren Afroamerikaner, ein bis dahin unbeachteter Markt. Auch andere nahmen nun Bluessängerinnen auf. Mamie Smith ebnete damit den Weg für Künstlerinnen wie Bessie Smith oder Ma Rainey.

Stand: 10.08.2022 | Archiv

10 August

Mittwoch, 10. August 2022

Autor(in): Thomas Grasberger

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Die Geschichte einer Frau, die unter einem Mann zu leiden hat, ist vermutlich so alt wie die Geschichte der Menschheit. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass dieser Klassiker oft Einzug gehalten hat in Literatur, Malerei, Musik und Theater. Und weil Klassiker bekanntlich nicht altern, kann man die Mann-Frau-Geschichte immer wieder auf Bühne und Leinwand bringen. Oder auf eine Schallplatte, wie am 10. August 1920. An jenem Dienstag nahm die damals 29-jährige afroamerikanische Künstlerin Mamie Smith den "Crazy Blues" auf. In unnachahmlicher Weise brachte die Jazz- und Blues-erfahrene Vaudeville-Sängerin das weibliche Leiden am Manne zum Ausdruck. Schon die ersten Zeilen des Songs klangen Herz zerreißend. "I can't sleep at night/ I can't eat a bite/ 'Cause the man I love/ He don't treat me right."

Drei Minuten und 26 Sekunden Verzweiflung

Schlaf- und Appetitlosigkeit sind freilich die harmloseren Symptome, die das lyrische Ich im "Crazy Blues" quälen. Drei Minuten und 26 Sekunden lang singt Mamie Smith von der Verzweiflung einer enttäuschten Frau, die nicht mehr herauskommt aus dem Strudel ihrer Gefühle. An die Liebe hatte sie geglaubt; er jedoch gab ihr den Laufpass. Und die Arme bekam den Blues - den "Crazy Blues". Die schwarze Sängerin Mamie Smith sang ihn so glaubwürdig, dass sie damit den Durchbruch schaffte: 75.000 verkaufte Platten innerhalb weniger Wochen - womit nicht einmal die weißen Plattenbosse von Okeh Records gerechnet hatten. Quasi über Nacht war eine völlig neue Käuferschicht aufgetaucht: die afroamerikanische Community. Und die liebte diesen Song, den ein schwarzer Musiker namens Perry Bradford geschrieben hatte.

Eigentlich hätte ja eine weiße Sängerin den "Crazy Blues" einspielen sollen. Als die aber erkrankte, setzte sich Bradford für seine schwarze Kollegin ein: Mamie Smith, geborene Robinson aus Cincinatti, Ohio. Mamie hatte ein halbes Jahr zuvor für Okeh Records bereits ein paar Stücke aufgenommen, die sich ganz gut verkauften. Streng genommen war der "Crazy Blues" also nicht - wie oft behauptet - die allererste Blues-Aufnahme einer schwarzen Künstlerin. Aber es war garantiert die erste, die zu einem Millionen-Seller wurde. Mamie Smith löste mit ihrem Hit eine wahre Welle aus, der "Crazy Blues" wurde zum Türöffner für schwarze Blues-Sängerinnen wie Ma Rainey und Bessie Smith.

Queen of Blues

Reich und berühmt geworden, tourte Mamie in den folgenden Jahren mit ihrer eigenen Band. Als "Queen of Blues" begeisterte sie ihr Publikum in den USA und Europa mit glamourösen Auftritten. Auch als Filmschauspielerin feierte sie Erfolge. Ihr Ende aber war traurig: Durch lange Krankheit gezeichnet, mittellos und völlig vergessen, starb Mamie Smith 1946 im Alter von 63 Jahren in New York City. Erst 2013 errichtete man der Frau, die Musikgeschichte geschrieben hatte, einen Gedenkstein aus Granit. Unsterblich aber war sie längst schon, dank "Crazy Blues". Übrigens, auf der B-Seite der Platte ist noch ein starker Song zu hören: "It's Right Here For You". Ein Blues, in dem ein Mann unter seiner Frau zu leiden hat. Noch so eine uralte Geschichte.


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