26. April 1924 "Kriemhilds Rache" wird uraufgeführt
Die Nibelungensage - der Stoff für einen Fantasyfilm, perfekt für die Ideen des Filmpioniers Fritz Lang. Er schuf ein siebenstündiges Double-Feature – als Stummfilm. Doch die Ohren wollen mitgenießen: ein Soundtrack musste her.
26. April
Montag, 26. April 2021
Autor(in): Christiane Neukirch
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Die Nibelungensage, aufgeschrieben im 12. Jahrhundert, ist der perfekte Stoff für einen Fantasy-Film. Ein Held, ein Schatz, ein Drache – und eine rachedurstige Frau. Blutige Kämpfe sorgen wohldosiert für Action. Einer der ersten, die das dramatische Potenzial erkannten, war Richard Wagner. Er brachte das Epos auf die Bühne und schuf den perfekten Soundtrack dazu: das Ergebnis war der berühmte Opernzyklus "Der Ring des Nibelungen." Wer die Geschichte von Anfang bis Ende verfolgen will, braucht allerdings Sitzfleisch: 16 Stunden dauert das vierteilige Werk – Pausen nicht eingerechnet.
Klingende Nibelungen
Als im 20. Jahrhundert die Bilder laufen lernten, suchten die Filmpioniere Sujets für ihr neues Medium. Die deutsche Schauspielerin und Autorin Thea von Harbou schnappte sich die Sage und schmiedete daraus ein Drehbuch für einen Stummfilm. Ihr Mann, der Regisseur Fritz Lang, brachte den Stoff im Jahr 1924 auf die Leinwand - mit besten Schauspielern und modernsten Special Effects der Zeit.
Die Gesamtlänge des Double Features betrug sieben Stunden, also weniger als die Hälfte von Wagners Werk. Schon mal eine gute Nachricht für strapazierte Hosenböden. Allerdings hatten Wagners Opern einen entscheidenden Vorteil: sie boten, im Gegensatz zum Stummfilm, Futter für die Ohren. Fritz Lang wusste, dass er eine gute Filmmusik brauchen würde. Aber Wagner konnte er nicht leiden. Er suchte nach einem Komponisten, der sich mit Film auskannte.
Dieser fand sich in Gestalt von Gottfried Huppertz, einem jungen Filmschauspieler, der ursprünglich Musik studiert hatte. Huppertz bekam den Auftrag für die Filmmusik. Zum ruhmreichen Durchbruch kam es für den frischgebackenen Komponisten aber erstmal nicht.
Grund dafür war nicht seine Musik, sondern die Arbeitsweise des Regisseurs. Fritz Lang feilte und schliff bis zur letzten Minute an seiner Dramaturgie. Während die Premiere im Berliner UFA-Palast schon lief, schnitt er im Cutting Room noch an Szenen herum. Per Polizeieskorte schickte er Rolle für Rolle zum Kino, immer gerade noch rechtzeitig zum Wechsel. Der Dirigent des Filmorchesters kämpfte darum, die Musik mit den neu geschnittenen Passagen in Einklang zu bringen. Vergebens.
Wagner-Soundtrack
Die Uraufführung des zweiten Teils, "Kriemhilds Rache", am 26. April 1924 verlief noch katastrophaler. Die letzte Filmrolle kam nicht mehr beizeiten im Kino an. Trotz der anfänglichen Pannen wurde der Film ein Publikumserfolg. Doch bei den Premieren in Frankreich und in den USA ließ man sich auf keine Experimente mit dem unbekannten Filmkomponisten ein, sondern adaptierte Richard Wagners Musik für den Streifen – sehr zum Missfallen des Regisseurs. Diese adaptierte Fassung wurde auf Schallplatte veröffentlicht und war damit der erste verkäufliche Soundtrack der Geschichte: auf Schellackscheiben fürs Kurbelgrammophon.
Erst 1980 wurde nach einer Restaurierung des Films erstmals wieder die Originalmusik von Gottfried Huppertz zugespielt. Diese und eine weitere Überarbeitung im Jahr 2010 machten aus dem Film wieder das Gesamtkunstwerk, das er ist – in voller Länge und mit passender Tonspur.