Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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16. Mai 1975 Junko Tabei erreicht als erste Frau den Mount Everest

Weder Vorurteile noch Lawinen konnten sie aufhalten: Am 16. Mai 1975 stand die Japanerin Junko Tabei als erste Frau auf dem Gipfel des Mount Everest. Aber Junko war keine verbissene Einzelkämpferin. Ihr ging es auch um die Freude an den Bergen und um das Gefühl der Gemeinschaft. Autorin: Isabella Arcucci

Stand: 16.05.2023 | Archiv

16 Mai

Dienstag, 16. Mai 2023

Autor(in): Isabella Arcucci

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Ein Foto aus dem Jahr 1979. Drei Frauen lachend Arm in Arm. Rechts die Polin Wanda Rutkiewicz, mit lockigem Haar und keckem Blick. In der Mitte die Tibeterin Phanthog, im blauen Mao Anzug, mit breiter Brust und noch breiterem Grinsen im Gesicht. Links neben ihr, die zierliche Japanerin Junko Tabei, mit runder Brille, Typ «nette Lehrerin». Was die drei eint ist ein großer Triumph: die Besteigung des Mount Everest! Auf die Frage «Warum wolltet ihr den Everest besteigen?», antwortete Phanthog: «Für die Volksrepublik China!»  «Für die Befreiung der Frauen», entgegnete Wanda Rutkiewicz. Und Junko Tabei? «Für mich und für mein Team.»

Ein schwächliches Mädchen erobert die Berge

Ausgerechnet die winzige Junko, das schwächliche Mädchen, auf dem höchsten Berg der Welt! Das dachten viele, die sie noch aus Kindertagen kannten. Geboren 1939 wuchs Junko im Krieg auf und kränkelte oft. Auch später in der Schule hockte sie im Sportunterricht auf der Ersatzbank. Und da wäre sie vermutlich hocken geblieben, hätte es nicht einen ganz besonderen Lehrer gegeben: den bergbegeisterten Watanabe Sensei. In den Ferien bestieg Junko gemeinsam mit Watanabe Sensei und einigen Mitschülern den japanischen Vulkan Nasu-dake. Ein riesiges Abenteuer! Glühend heisse Quellen, die im Gestein brodelten, Lagerfeuer und Zelten unterm Sternenhimmel. Junkos Körper war viel stärker als alle dachten! Mit 10 Jahren hatte sie ihre Berufung gefunden. Bergsteigen war für Junko nicht Wettkampf- sondern Teamsport. Und ihr war klar: egal wie langsam man geht, man kann dennoch den Gipfel erreichen.

Den höchsten Gipfel erreichte Junko Tabei am 16. Mai 1975. Weder Vorurteile gegen Frauen am Berg noch die Lawine, die Tage vorher sie und ihre Teamkolleginnen verschüttet hatte, konnten sie aufhalten. Wie durch ein Wunder überlebten alle. Als Junko die japanische Flagge auf dem Gipfel des Everest schwenkte, wusste sie, wem sie diesen Erfolg verdankte. Sich selbst, aber vor allem auch ihrem Team. Den Sherpas, die sie aus der Lawine gerettet hatten, den Kolleginnen, die ihr den Ruhm überließen, denn das knappe Budget reichte nur, um eine Person für den Gipfel auszurüsten, und vor allem Masanobu. Ihrem Ehemann, der sie immer unterstützte und daheim mit der dreijährigen Tochter auf sie wartete.

Grenzenlose Frauenfreundschaft

Nur elf Tage nach Junko erreichte die gebürtige Tibeterin Phanthog mit ihrem chinesischen Team den Everest. Japan und China also, die beiden Erzfeinde. Der Zickenkrieg um den höchsten Punkt der Erde schien vorprogrammiert. Doch weit gefehlt. Junko Tabei war überglücklich als die Einladung kam, im französischen Chamonix an einem Filmprojekt mitzuwirken, gemeinsam mit Phanthog und Wanda Rutkiewicz, der ersten Europäerin auf dem Everest. Der Beginn einer internationalen Frauenfreundschaft. Und als Junko im Jahr 2008, mit knapp 69 Jahren, am Fernseher die Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking verfolgte sah sie ihre Freundin und Everest-Co-Besteigerin Phanthog gemeinsam mit anderen Athletinnen und Athleten die olympische Flagge tragen. Bei diesem Anblick, so Junko in ihren Memoiren, habe ich tiefen Stolz empfunden.


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