Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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23. Oktober 1987 Jakobsweg wird erster Europäischer Kulturweg

Eigentlich umfasst er ja eine ganze Reihe von Wegen: der Jakobsweg. Vor allem aber meint man damit den Camino Francés, den berühmtesten Pilgerpfad Europas. Autorin: Regina Fanderl

Stand: 23.10.2020 | Archiv

23 Oktober

Freitag, 23. Oktober 2020

Autor(in): Regina Fanderl

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Was fällt uns denn eigentlich beim Wort "Kultur" ein? Eine Vernissage vielleicht? Eine Beethoven-Matinee? Ein Chorwettbewerb? Ältere Herrschaften erinnern sich vielleicht noch an eine Sendung des Bayerischen Rundfunks, bei der am Anfang drei (oder vier?) Leute "Kultur" sagen. Normal. Hochgestochen. Und hinten raus bayerisch: "Kultua"!

Der Kulturweg

Aber dass ein Pilgerweg "Kultur" ist! Sogar der berühmteste überhaupt, der Jakobsweg, das haben wir doch nicht so konkret auf dem Schirm.

Der Camino Francés, wie Absolventen desselben lässig sagen, ist sogar der Erste Europäische Kulturweg überhaupt! Jawoll!!!

Warum eigentlich? Seit fast 1000 Jahren sind Wallfahrer zum vermeintlichen Grab des Apostels Jakob im nordspanischen Santiago de Compostela unterwegs. Sie erreichen die Hauptstadt der Region Galizien über Straßen, Wege und Steige aus allen Ecken und Enden des heutigen Europa. Auf der Karte schaut das aus wie ein dichtgewebtes Spinnennetz, dessen äußere Ränder Irland, England, Norwegen, Ungarn, Italien und Portugal markieren. Der Großteil dieser Routen bündelt sich schließlich an der französisch-spanischen Grenze zum knapp 800 Kilometer langen, letzten Abschnitt, dem Camino. Er führt scharf westwärts ans Ziel.

Schon die Kelten sollen in vorchristlicher Zeit die Tour über die Pyrenäen und entlang der alten Königsstädte als magisch empfunden haben. Aus ihrem Handelsweg wird eine Besinnungsstrecke. Es entstehen Klöster, Herbergen, Hospitäler, Gasthäuser und Kirchen und bringen den anliegenden Orten wirtschaftlichen Segen. Im Mittelalter kommt Pilgern regelrecht in Mode und Santiago steht im Dauer-Ranking mit den beiden anderen großen Wallfahrtszielen Rom und Jerusalem.

Daheim bleiben?

Mit Martin Luther, seiner Lehre und seinen berechtigten Zweifeln an der Echtheit der Gebeine des Apostels flaut der Boom ab. "Man weiß nicht, ob Jakob oder ein toter Hund da liegt! Lass reisen, wer da will, bleib du daheim!" mahnt der Reformator. Auch die Säkularisierungswelle, Kriege, Hungersnöte und - weiß der Teufel? – womöglich auch Seuchen aller Art halten viele Menschen davon ab, monatelang fern der Heimat Gott und sich selbst zu suchen. Komplett zum Erliegen kommt die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela zwar nicht – zumal in besonderen Gnadenjahren immer wieder mal einen Ablass zeitlicher Sündenstrafen gewährt wird. Doch schleppen sich lange Zeit nur noch ein paar Dutzend Wallfahrer pro Jahr über den teils schon überwucherten Jakobsweg.

In Schwung kommt die Sache erst wieder ab den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Der Papst ruft den alten Kontinent auf, sich seiner gemeinsamen Wurzeln zu erinnern und ganz in diesem Sinne erklärt schließlich der Europarat den Jakobsweg zum Ersten europäischen Kulturweg. Das war dann am 23. Oktober 1987.

Es sollen allerdings noch 20 Jahre vergehen, bis sich 2007 mit dem so genannten "Kerkeling-Effekt" ein überdurchschnittlich hoher Zuwachs deutschsprachiger Pilger auf den Weg macht. "Ich bin dann mal weg!" – auf diese Idee kommen im Jahr 2019 insgesamt mehr als 300.000 Menschen. Die meisten mit europäischer Herkunft. Doch rangieren schon auf Platz 4 die USA und auf den Plätzen 9 und 10 Südkorea und Brasilien. Und das ist gut so, meinte schon der Humanist der Renaissance, Thomas Morus! "Es kommt niemals ein Pilger nach Hause, ohne ein Vorurteil weniger und eine neue Idee mehr zu haben."


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