Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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19. April 1834 Haberfeldtreiben in Maxhofen

Ein nach eher weniger festen Regeln ablaufendes Ritual, ein Rügegericht, in dessen Verlauf den Beschuldigten ihre Verfehlungen vorgehalten wurden: das Haberfeldtreiben. Die Haberer kamen vermummt, beriefen sich auf "gesundes" Rechtsempfinden, um Verstöße gegen Sitte und Moral zu ahnden. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 19.04.2023 | Archiv

19 April

Mittwoch, 19. April 2023

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Auf einen Schlag sind sie da, die Nacht spuckt sie aus: Dreißig, vierzig, oft mehr als hundert rauflustige Burschen rotten sich vor einem Haus, einem Hof, einem Dorf, zusammen. Sie pfeifen, plärren, johlen, schießen, machen mit Glocken, Ratschen, Hörnern einen Höllenradau. Der Lärm quillt auf, bis ein aus dem Gewoge huschender Schatten vortritt und die Verfehlungen der Heimgesuchten in zotigen Versen ausschreit.

Brutaler "Rügebrauch"

Die Haberer sind los! Die Meute hat ihr Opfer gestellt, prangert ledige Mütter, verführte Mädchen, gehörnte Gatten und andere Keuschheitssünder erbarmungslos an. Mei, Bayern halt. Ein bisserl derb vielleicht, aber im Grunde herzensgut und ohne Arg! Ja, so klingt das fein. Aber ein harmloses Gstanzlsingen oder griabiges Derblecken war das Haberfeldtreiben nie. Es geht von Anfang an ums Demütigen, Dreindreschen und Zutreten. Es geht darum, im Hochgefühl eigener Rechtschaffenheit vor fremden Türen zu kehren und selbstberauscht im Rudel zu randalieren.

"Es ist halt doch des Allerschönst, wenn ma'r an andern sei Schand siecht, da ko ma sei Ehrbarkeit an d' Sunn außa hänga", sagt Ludwig Thoma. Und das ist der fette Acker, auf dem das Haberfeldtreiben im bayerischen Oberland gedeiht. Zuerst als eher sparsam und sporadisch geübter Rügebrauch, bis es in den 1820er Jahren komplett aus dem Ruder läuft. Die Haberer schlagen immer öfter zu. Sie werden rabiater, rauflustiger, brutaler, reißen Zäune nieder, decken Häuser ab, setzen scharfe Waffen ein. Wo sich Bauern oder Dörfer wehren, kommt es zu wiederholt zu regelrechten Schießereien.

Quittung für den Shitstorm

So wie bei Bruckmühl im Rosenheimer Land. Dort sammeln sich am 19. April 1834 gegen Mitternacht an die 150 Burschen auf einem Hügel zwischen Schloss und Dorf Maxhofen. Die meisten haben sich im Wirtshaus ausgiebig gestärkt. Es steht ja auch mordsmäßig Arbeit an: Erst muss man dem Lehrer Rothammer heimleuchten, weil der ein ausgschamter Weiberer ist und Unzucht treibt mit ledigen Jungfern. Ferner haben etliche Bauern die Reinheit des Ehebetts in der Menscherkammer befleckt, weshalb man ihnen kräftig Bescheid stoßen muss. Und dann hat der Gärtner vom Schloss einer Dirn einen Bankert gemacht, aber der Graf schaut weg, weil er selbst nix anbrennen lässt. Auch da tut Rüge bitter not.

Doch wie die Geschwärzten grad mitten im schönsten Spektakeln sind, geht ein anderer Tanz los: Von hinten rücken Bauern mit Stutzen und Flinten an, die Schlossleute schießen von oben herab aus allen Fenstern. Fast eine Stunde pfeift das Blei hin und her, dann ziehen die Haberer ab. Dass keiner tot liegen bleibt, ist fast schon ein Wunder. Nur dem Kaspar Schnitzenbaumer reißt eine Kugel den Hut vom Kopf, und einer Stallmagd zerkratzt ein Querschläger die Stirn.

Aber diesmal haben die selbstherrlichen Radaubrüder den Bogen überspannt. Sie werden verfolgt, gefasst, vor Gericht gestellt und hart bestraft. Genutzt hat es wenig. Als Volkssport ist das Haberfeldtreiben nicht auszurotten und heute womöglich beliebter denn je. Auch wenn es jetzt Shitstorm heißt und die Horde digital im Internet hetzt.


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