Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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22. Mai 1872 Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses

Jahr für Jahr ist es ein Schaulaufen der Politik und Prominenz: Der Grüne Hügel in Bayreuth zieht Klassikfans aus der ganzen Welt an. Manch Klassikfreund aber bleibt fern, denn es sind Wagners Werke. Autor: Johannes Roßteuscher

Stand: 22.05.2020 | Archiv

29 Oktober

Montag, 29. Oktober 2012

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Illustration: Angela Smets

Redaktion: Thomas Morawetz

Man kann Richard Wagner, diesem Ur-Ungustl unter den deutschen Komponisten ja viel vorwerfen. Eigentlich alles. Okay, vielleicht nicht das Vorspiel zu Rheingold. Oder den ominösen Tristan-Akkord. Aber sonst – genug für mehrere Leben.

Nur einmal, da hat er echt eine blendende Idee gehabt. Ein Festspielhaus wollte er bauen. Zweck: Siegfrieds Tod als vierteiliges Werk aufführen. Das Famose daran: Ein Theater aus Brettern sollte es werden, das nach drei Gratisaufführungen wieder abgebrochen würde – und dann, wie er selbst schreibt, "die Sache ihr Ende hätte". Was für ein genialer Einfall! Was wäre uns alles erspart geblieben! Zweifel daran? Ein paar wenige Beispiele:

Was trägt die Kanzlerin?

Alleine die jährlichen Diskussionen über das Kleid von Angela Merkel. Schlingensiefs Hasen, Neuenfels‘ gerupfte Schwäne, Rene Kollos Flugzeug, Christian Thielemanns Porsche – der ganze alljährliche Auftrieb der Nasen, die man seit Monaten in die Sommerpause wünscht, und denen man dann beim Schwitzen im Smoking zuschauen muss.

Aber das sind ja noch die harmlosen Begleiterscheinungen. Erspart geblieben wäre uns – die Handvoll netter Wagnerianer wie Loriot, Ludwig II oder Udo Wachtveitl mögen uns verzeihen – ein jahrhunderte-währender Hort der Reaktion. Übertrieben? In den 20er Jahren wehte über dem Festspielhaus die schwarz-weiß-rote Flagge der Gegner der Republik. In den 30ern machte der größte Führer aller Zeiten den Weihetempel seines Verbündeten im Antisemitismus zu seiner ganz persönlichen Bühne. "Lieber Führer sei so nett und zeige Dich am Fensterbrett", skandierten die 30-er-Jahre-Wagnerianer in der Pause.

Aber jetzt mal stopp: Wo bleibt das Positive? Das gibt es – okay: auch. Die Grundidee von Wagner hatte, über die Bretter hinaus, einen weiteren bedenkenswerten Aspekt. Er wünschte sich ein Theater, in dem man nicht, nach "hingequälter Arbeit" mit "oberflächlicher Kunst" zerstreut werde. Sondern genau andersherum: Man solle im "vollen Sommer" einen Ausflug machen, sich in schöner Umgebung zerstreuen und dann gesammelt ins Weihehaus eintreten. Wo einen der erste Klang des Orchesters zu der Andacht stimmt, ohne die, sagt Wagner, kein wirklicher Kunsteindruck möglich ist. Schon ein Ansatz, irgendwie.

Statt Budenbrettern, fixes Festspielhaus

Dass es dann doch keine Bretterbude wurde, sondern ein Festspielhaus, das heute noch steht – eine verwickelte Geschichte. Das Isarhochufer in München spielt eine Rolle, Ludwig II natürlich und am Ende ein Regenbogen über dem Vierwaldstätter See. Vor allem aber schlicht die Tatsache, dass Wagner Bayreuth schon immer putzig gefunden hatte. 

Zu Wagners 60. Geburtstag, am 22. Mai 1872 und damit mehr als 20 Jahre nach den ersten Ideen, wurde der Grundstein gelegt. Es regnete in Strömen, die Festversammlung schritt auf Brettern über schlammigen Untergrund den Grünen Hügel hinauf, Wagner versenkte den Stein, sprach weihevolle Worte und dirigierte anschließend Beethovens Neunte. So würde man sich so manchen Tag in Bayreuth heute noch wünschen: Schlamm für die Festspielbesucher, die dann immerhin mit Musik eines wirklich großen Komponisten entschädigt würden.


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