Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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9. Dezember 1921 Gott wegen Blasphemie zu neun Monaten Haft verurteilt

Gott wurde wegen Blasphemie verurteilt. Aber man kann nicht sagen, dass er sich nicht entscheiden gegen die Ungerechtigkeit auf Erden eingesetzt hat. Denn dass alle Gotteskinder seien, aber andere wohl mehr, und andere weniger, das brachte John William Gott in Rage – und ins Gefängnis. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 09.12.2021 | Archiv

09 Dezember

Donnerstag, 09. Dezember 2021

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Mit Gott ist nicht gut scherzen. Der ganze Kerl ist Krawall: Kinn wie ein Rammbock, Stahlbürstenbart, Stiernacken, Brechstangenblick. Nein! John William Gott ist kein besonders verträglicher Mensch. Der Tuchverkäufer aus Bradford in Nordengland steht quer zur Welt und kocht vor Zorn: Ein Viertel aller Briten lebt in Armut, haust in Löchern, krepiert an Tuberkulose, pflanzt die Misere kinderreich fort. Die Missstände schreien zum Himmel. Aber der Himmel hört nicht. Auch seine Sachwalter auf Erden stellen sich taub und vertagen das Paradies aufs Jenseits und das Ende der Zeit.

Gott, der lästernde Sozialist

So lange will Gott nicht warten. Das Diesseits soll bewohnbar werden. Jetzt. Für alle, nicht nur für Reiche und Aristokraten. Die Unterdrückten müssen sich erheben und Gerechtigkeit schaffen. Wenn möglich mit Gesetzen, falls nötig, mit Gewalt. Deshalb ist John William Gott Sozialist geworden, davon spricht und eifert er auf Versammlungen, darüber schreibt er in seiner eigenen Zeitung. Doch der Durchmarsch zur irdischen Glückseligkeit ist verstellt und Gott kennt das Haupthindernis: Die Tugendlehre des Christentums. Sie predigt Demut und Duldsamkeit, bremst den Fortschritt, stützt die Mächtigen und zementiert das Elend der Massen. Um diesen Feind zu schlagen, gibt es nur eine Waffe: beißende Satire und ätzenden Hohn.

Das geht nicht lange gut. 1902 bringt ihn ein blasphemischer Artikel erstmals vor Gericht. Die Sache verläuft im Sand, aber seither hat der Innenminister ein scharfes Auge auf den Spötter. 1911 steht Gott erneut unter Anklage. Wieder wegen Blasphemie. Diesmal geht es nicht glimpflich ab. Vier Monate brummt ihm der Richter auf. Das Urteil findet nicht nur Zustimmung. Zeitungen, Parlamentarier und sogar Kleriker kritisieren ein Pharisäertum, das die Gotteskindschaft aller Menschen lehrt, aber Millionen Gotteskinder verhungern lässt.

Das traurige Ende Gottes

Die Empörung ist groß, aber es bleibt bei vier Monaten. Billiger ist die Kränkung des Allmächtigen nicht zu sühnen. Was als Warnschuss gedacht war, bewirkt jedoch das Gegenteil: jetzt dreht Gott erst richtig auf. Seine Attacken werden giftiger und bringen ihn wiederholt wochenlang hinter Gitter. Na gut. Wenn sich der Stänkerer nicht einschüchtern lässt, muss man ihm ein für alle Mal zeigen, wo der Hammer hängt. Die Gelegenheit kommt, als Gott nicht nur Schriften zur Empfängnisverhütung verschickt, sondern obendrein Jesus mit einem Zirkusclown vergleicht, der auf zwei Eseln gleichzeitig in Jerusalem einreitet.

Das ist zu viel. Der Frevler braucht einen Denkzettel! Er kriegt ihn am 9. Dezember 1921: neun Monate Zuchthaus mit schwerer Zwangsarbeit. Alle Proteste, alle Gnadengesuche und Hinweise auf die schwer angeschlagene Gesundheit des unverbesserlichen Lästerers verpuffen. Der Verurteilte selbst nimmt es gelassen: Wenn Religion die Menschenwürde lästert, kann er nicht schweigen, sagt Gott. Dann lieber Weihnachten im Knast.

John William Gott überlebt seine Entlassung nur um wenige Wochen. Nach ihm wurde in England niemand mehr öffentlich wegen Blasphemie angeklagt und verurteilt.


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