Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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6. Juli 2000 FIFA entscheidet: Die WM 2006 findet in Deutschland statt

74 – 90 – 2006: Hundertausende tauchen Deutschland in ein Fahnenmeer und die Welt schaut begeistert zu. Public Viewing wird zum stehenden Begriff und zur Hauptbeschäftigung. Dabei war es gar nicht so klar, dass die FIFA für Deutschland stimmt – und für ein Sommermärchen. Autorin: Susi Weichselbaumer

Stand: 06.07.2021 | Archiv

06 Juli

Dienstag, 06. Juli 2021

Autor(in): Susi Weichselbaumer

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Abends im Biergarten vor der überdimensionalen Videoleinwand: Menschen mit Deutschland-Käpis und Schals. Deutschland-Flaggen um die Schultern gebunden wie Superhelden-Capes. Im Gesicht schwarze, rote, gelbe Streifen – eine Mischung aus Kriegsbemalung und Faschingsbegeisterung. Weil es so schön ist. Weil die Welt Deutschland endlich mal wieder mag. Ach was: Liebt! Für dieses Sommermärchen! Lebensfreude, Leichtigkeit, Elfmeterschießen!

FIFA für Deutschland

Gut, Elfmeterschießen hatte man uns wohl zugetraut. Aber Lebensfreude und Leichtigkeit? Dafür ist Deutschland weniger berühmt. Vielleicht ein Grund, warum der Zuschlag für die WM 2006 zögerlich kommt. Im Rennen sind ursprünglich noch England, Marokko und Südafrika. Letzteres, findet FIFA Chef Sepp Platter, sei dran. Demokratische Bemühungen gelte es zu belohnen mit einem Fußballgroßevent. Marokko ist anderer Meinung. Man selber sei an der Reihe, weil es nur fair sei, wenn jetzt mal Marokko… Fairness allerdings nehmen auch die Engländer als Verkaufsargument. Dass es bei Spielen in den vergangenen Monaten immer wieder heftige Zusammenstöße von Hooligans gegeben hatte… ja. Aber bis zur WM 2006 habe England das im Griff.

12 : 11

Nö, urteilen die 24 Mitglieder des Abstimmungskomitees und lassen England in den ersten Wahlgängen genauso durchfallen wie Marokko. Gleichauf jedoch nach Wahlgang 2: Südafrika und Deutschland. Als FIFA-Chef Platter am 6. Juli 2000 die entscheidende Runde einleitet, sind trotzdem viele Beobachter sicher: Der Favorit kommt aus Afrika. Politische Gründe, ein Votum für den Wandel hin zur Demokratie – Platters Argumentation dahin werde sich durchsetzen. Und selbst, wenn nur einer der beiden Delegierten, die vorher noch für England waren… Der Neuseeländer Charles Dempsey enthält sich der Stimme. Der Schotte David Will will: Deutschland. 12 zu 11 Stimmen! WM-Botschafter Karl-Heinz Rummenigge jubelt: Wie ein Sechser im Lotto! Franz Beckenbauer weiß: Deutschland wird ein großartiger Gastgeber sein! Berlins Bürgermeister Eberhardt Diepgen imaginiert das Finale im – bis dahin sanierten – Olympiastadion. Der Bundestag unterbricht die Debatte um Bäfog und feiert die Entscheidung der FIFA mit frenetischem Applaus. Die deutsche Zeitrechnung erfolgt fürderhin in 74 – 90 – 2006…

Was ein bisschen verwegen ist. Die deutsche Mannschaft besteht aus durchwegs sehr jungen Spielern. Dass der Gastgeber laut FIFA-Reglement automatisch gesetzt ist und nicht durch die Qualifikation muss, erfüllt viele Fans zu Tunierbeginn mit erheblicher Erleichterung. Denn noch ahnt keiner: Die deutsche Mannschaft wird durchmarschieren. Miroslaw Klose einen Tor-Salto nach dem anderen springen. Abends im Biergarten werden die Menschen mit Deutschland-Käpis und Schals vor der überdimensionalen Videoleinwand sitzen. Lebensfreude, Leichtigkeit, Elfmeterschießen! Verlängerung, eine verhängnisvolle. Im Halbfinale gegen Italien. Egal, wird Deutschland eben WM-Dritter! Und wir freuen uns weiter für die anderen und die anderen für uns – ganz nach dem WM-Motto: „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Einen ganzen Sommer lang.


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