Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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20. Juli 1960 Erste weibliche Regierungschefin der Welt, Sirimawo Bandaranaike

Nach einem tödlichen Anschlag auf ihren Mann will Sirimawo Bandaranaike dessen Erbe bewahren. Die Hausfrau und Mutter bewirbt sich als Nachfolgerin auf seinen Posten. Damit wird sie die erste weibliche Regierungschefin der Welt. Merklich ändert sich der Führungsstil in Sri Lanka aber nicht. Autorin: Justina Schreiber

Stand: 20.07.2023 | Archiv

20 Juli

Donnerstag, 20. Juli 2023

Autor(in): Justina Schreiber

Sprecher(in): Caroline Ebner

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Kaum zu glauben! Am 20. Juli 1960 trat in Ceylon oder Sri Lanka, wie es dann hieß, die erste frei gewählte Regierungschefin der Welt ihr Amt an - 45 Jahre, bevor mit Angela Merkel in Deutschland erstmals eine Frau Kanzlerin wurde. Sirimawo Bandaranaike musste sich nicht parteiintern hocharbeiten. Die erste Ministerpräsidentin Sri Lankas stieg gleich ganz oben ein. Und das kam so: Ein dreiviertel Jahr zuvor, an einem Herbstmorgen eröffnete ihr Mann als designierter Premierminister Ceylons gerade die Audienz, als Schüsse fielen. Sirimavo Bandaranaike versuchte noch, sich zwischen ihn und den buddhistischen Mönch mit der Waffe zu werfen. Doch keine Chance.

Den Platz des Mannes

Solomon Bandaranaike starb durch die Hand eines Extremisten, dem der Einfluss des Klerus auf die Politik nicht weit genug ging. In dem Inselstaat im indischen Ozean, der seit 1948 von der britischen Krone unabhängig war und einen eigenen Weg suchte, herrschte eine aufgeheizte Stimmung. Sirimawo Bandaranaikes Mann hatte mit seiner Sri Lanka Freedom Party einen nationalistisch und sozialistisch orientierten Kurs eingeschlagen: singhalesisch und nicht Englisch als Verkehrssprache, kostenlose Schulbildung für alle, keine Korruption, keine Vetternwirtschaft - so lauteten die hehren Ziele, die ohne ihren größten Verfechter erst recht gefährdet schienen.

Wie weiter?

Kurz vor den Neuwahlen verlor sich die führungslose Freiheitspartei in Streitereien. Um das Erbe ihres Mannes zu retten, entschloss sich die Witwe höchstpersönlich vor das Volk zu treten.
Die Politikergattin, die als Tochter einer reichen buddhistischen Familie eine gute Ausbildung genossen hatte, legte ihre bis dato rein repräsentative Rolle ab und beschwor das Volk, Zitat: "den Freunden meines Mannes die Stimme zu geben." Sie hatte zunächst gar nicht vor, sich selbst als Spitzenkandidatin zur Verfügung zu stellen. Als die Opposition dann vorne lag, war Sirimawo Bandaranaike allerdings klar: nur sie allein konnte - als Sprachrohr des verstorbenen Premierministers - das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen. Was tatsächlich gelang.

Eine ceylonesische Hausfrau und dreifache Mutter an der Spitze des Staates! Die konservative Elite reagierte entsetzt. Aber die erste Ministerpräsidentin Sri Lankas betrat die politische Bühne, um den Parteivorsitz 40 Jahre lang bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 fest in den Händen zu halten. In drei Amtszeiten als Regierungschefin trieb Sirimawo Bandaranaike die Sozialisierung Sri Lankas voran. Sie verstaatlichte Betriebe und kirchliche Schulen, am Ende sogar die größte Zeitung der Republik. Unter ihrer Ägide verbesserte sich die Alphabetisierung der Bevölkerung, aber wegen der Posten und Pöstchen, die sie ihrer Verwandtschaft vermittelte, drehte sich ihr Mann vermutlich öfters im Grabe herum. Und was tat die kämpferische Pionierin für ihre Geschlechtsgenossinnen, die noch im Kindesalter an die zukünftigen Gatten verkauft wurden oder als Teepflückerinnen für das Familieneinkommen schuften mussten? Nun,  Sirimawo Bandaranaike sah in Sachen weibliche Emanzipation keinen Handlungsbedarf. Schließlich trat sie nicht als Frau auf, sondern als Stellvertreterin ihres Mannes.


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