Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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22. Oktober 1938 Erste Fotokopie einer Schriftvorlage

Unter Zuhilfenahme einer mit einem Tuch elektrisch aufgeladenen Metallplatte, Schwefelpuder, staubfeinen Bärlappsporen und einer Wachsplatte entstand 1938 die erste Fotokopie. Erfunden von Chester Carlson – weil er wenig Lust hatte Texte und Zeichnungen per Hand zu kopieren. Autorin: Yvonne Maier

Stand: 22.10.2021 | Archiv

22 Oktober

Freitag, 22. Oktober 2021

Autor(in): Yvonne Maier

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Elektrofotografie. Das klingt nicht nur revolutionär, das ist es auch. Beziehungsweise: War es. Im Jahr 1942, als Chester Carlson in New York die erste Fotokopie der Welt erstellte. Im Nachhinein könnte man sich natürlich einiges wünschen, was in so einem wichtigen Moment der Weltgeschichte kopiert hätte werden sollen. Die zehn Gebote vielleicht. Oder die Balkonszene von Romeo und Julia. Vielleicht hätte man eine Abschrift vom Stein von Rosetta vervielfältigen können! Jedenfalls irgendetwas, das die Bedeutsamkeit des Moments unterstreicht. Leider aber wissen Erfinderinnen und Erfinder in der Regel nicht, wann nun der Moment ist, in dem die Erfindung das erste Mal wirklich funktioniert. Auch Chester Carlson wusste das nicht.

Berufswunsch: Erfinder

Doch von vorn: Geboren wurde Chester Carlson in Seattle, in den USA, im Jahr 1906. Er war ein Einzelkind und wuchs in Armut auf. Sein Vater hatte Tuberkulose und Arthritis - der junge Chester war mit 14 Jahren schon der Haupternährer der Familie. Morgens putzte er Schaufenster, dann ging’s in die Schule. Danach war er, je nach Jahreszeit, Erntehelfer, verkaufte Sprudelwasser oder züchtete Meerschweinchen für ein Versuchslabor. In dieser Zeit beschloss er: Ich werde Erfinder. Für ihn der einzige logische Schritt, um aus der Armut herauszukommen. Mit siebzehn starb seine Mutter und Chester war nun nicht nur für seine eigene Schulbildung und seine Jobs verantwortlich, sondern auch für die Versorgung seines Vaters. Doch der junge Mann wollte studieren - und bewarb sich für ein Studienprogramm, das wie perfekt für ihn war: Dort konnte man nämlich in sechswöchigem Turnus zwischen Studium und Job wechseln.

Hier studierte er Physik - der Grundstein für seine Erfinderkarriere war gelegt. Nach dem Studium begann er zu arbeiten, doch für’s Labor war er schlecht geeignet. Zumindest schrieb er in seinen Tagebüchern, dass er zu "ungeschickt" sei. Er wechselte in die Patentabteilung. Hier merkte er wie mühsam es war, Texte und Zeichnungen zu kopieren - mit Kohlepapier oder per Foto. Ein einfaches Bürokopiergerät - das wär’s doch!

Elektrisch aufgeladene Oberflächen

Der angehende Erfinder wälzte jedes Buch, das er in der öffentlichen New Yorker Bibliothek finden konnte, das sich nur irgendwie mit Kopiervorgängen beschäftigte. Wie kann man Abdrucke von Dokumenten in einer Kopierpresse erstellen? Wie kann man das mit Licht und Fotografietechnik verbinden? Der entscheidende Hinweis: Man kann Oberflächen elektrisch so aufladen, dass sie an bestimmten Stellen - zum Beispiel genau dort, wo später Schrift sein soll - Farbpigmente anziehen. Voilà! So sollte kopieren funktionieren.

Gemeinsam mit dem Physiker und Elektroingenieur Otto Kornei, einem gebürtiger Wiener, machte er sich ans Werk. Sie bezogen am 6. Oktober 1938 ein behelfsmäßiges Labor in Astoria, im New Yorker Stadtteil Queens. Schon die ersten Versuche waren vielversprechend. Und nur rund vierzehn Tage später war es dann so weit. Ein historischer Moment. Am 22.10.1938 kopierten Chester Carlson und Otto Kornei in ihrem Labor in Astoria den Text "10.22.38 - Astoria" auf Wachspapier. Die erste Fotokopie einer Schriftvorlage der Welt.


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