Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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30. Oktober 1989 Der “Schwarze Kanal“ zum letzten Mal im DDR-Fernsehen

Im "Schwarzen Kanal“ widmete sich Chefkommentator Eduard von Schnitzler im Sinne der SED-Propaganda einzelnen Ausschnitten von Sendungen des Westfernsehens. Autorin: Justina Schreiber

Stand: 30.10.2020 | Archiv

30 Oktober

Freitag, 30. Oktober 2020

Autor(in): Justina Schreiber

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

"Guten Abend, meine Zuschauerinnen und Zuschauer, liebe Genossinnen und Genossen!" So brav begann er seinen Schwanengesang. Karl-Eduard von Schnitzler, für manche der meistgehasste Mensch der DDR, trat am 30. Oktober 1989 ein letztes Mal mit seiner Sendung "Der schwarze Kanal" im Ost-Fernsehen auf. Das Flaggschiff der ostdeutschen Medienfront, auch "Sudel-Ede" genannt, wirkte bei diesem seinem letzten Auftritt vergleichsweise zahm. Fast müde. Scheinbar selbst gelangweilt von den eigenen Plattitüden, dem ewigen Gefasel vom Klassenkampf las der berühmte Chefkommentator seinen Text vom Tele-Prompter ab.

Sudel-Ede…

Zwar beugte er sich auch jetzt nicht dem imperialistischen Diktat. Nein. Dazu war Karl-Eduard von Schnitzler, der Spross einer großbürgerlichen Familie, der die Seiten gewechselt hatte, ein viel zu überzeugter Sozialist – nach dem Motto: "Die Partei, die Partei, die hat immer recht." Aber die friedliche Revolution, die da draußen gerade die DDR ins Wanken brachte und dem kapitalistischen Gegner in die Hände spielte, schien ihm einen ordentlichen Dämpfer zu verpassen. Gingen die propagandistischen Attacken, die der Journalist fast 30 Jahre lang Montagabend für Montagabend gen Westen geritten hatte, nun etwa nach hinten los? Vielleicht aber kränkte den Altmeister des Freund-Feind-Denkens auch die Ansage seiner neuen fortschrittlichen Kollegen, die von einem politischen Magazin plötzlich "Klartext" verlangten und ihm und seinem schwarzen Hetz-Kanal den Boden unter den Füßen wegzogen - wenn man so will, in vorauseilendem Gehorsam. Denn die Grenzen der DDR waren ja noch gar nicht gefallen. In diesen wackligen Zeiten sollten also nicht einmal mehr die linientreuen Genossen und Genossinnen hören können, wie Karl-Eduard von Schnitzler Protagonisten und Medien der BRD lächerlich machte, wie er Zitate aus dem Zusammenhang riss, Tatsachen verdrehte und den Wahrheitsbegriff solange dehnte, bis kein Körnchen mehr übrig blieb. Derart gedemütigt vom Lauf der Geschichte schlug "Sudel-Ede" zum ersten und letzten Mal in seinem schwarzen Kanal, in der 1519. Folge der Sendung, fast entgegenkommende Töne an.

Nachdem sich im Trailer unter dem Gefiepe der Titelmelodie der Bundesadler auf den Antennen des Fernsehens der DDR niedergelassen hatte, forderte der Mann mit der dicken Brille doch tatsächlich einen freien Dialog, gemeinsames Handeln, rechtes Maß und Geduld.

…nimmt Abschied

Reichte er dem verhassten Bruder-Staat jetzt etwa versöhnlich die Hand? Iwo! Warum sollte er diesen Schritt tun, wenn es der Gegenseite – seiner Meinung nach - an Vernunft und Einsicht mangelte? "Will heißen," fuhr der grauhaarige Schlipsträger fort, "der Revanchismus bleibt uns erhalten, der Klassenkampf geht weiter." Zum Vorbild taugte solch ein erbitterter kalter Krieger wohl nicht mehr. Trotzdem: als er sich von seinen "Zuschauerinnen und Zuschauern, den lieben Genossinnen und Genossen" endgültig verabschiedete, verdrückten einige Bürger und Bürgerinnen der DDR eine Träne. Wenn er nur ab und zu auch vor der eigenen Tür gekehrt hätte – Karl-Eduard von Schnitzler hätte den Unmutigen und Unlustigen im großen Vereinigungstaumel eine Stimme geben können.


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