Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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12. Februar 1818 Der Regenwald-Indianer Quäck strandet in Neuwied am Rhein

Der Botokude-Indianer "Quäck" wurde der einheimische Reisebegleiter des Naturforschers Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied. Der Prinz nahm ihn mit nach Deutschland. Autor: Christian Jungwirth

Stand: 12.02.2021 | Archiv

12 Februar

Freitag, 12. Februar 2021

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Nuguäck! So rufen ihn seine Eltern, so nennen ihn alle, mit denen er im Regenwald aufwächst. Wann er seiner indianischen Familie abhandenkommt? Wie es kommt, dass er, ein halbes Kind noch, seinen Stamm verliert, bei Portugiesen lebt, ihre Sprache lernt, getauft zu Joaquim Kuêk wird? Niemand weiß es. Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied hätte es erfragen können, als er Joaquim 1817 in einer portugiesischen Garnison im Südosten Brasiliens begegnet. Doch der Forschungsreisende aus dem Rheinland hat andere Sorgen. Zwei Jahre schon, seit 1815, bereist er Brasilien. Bevor es nun heimgeht, will er die Expedition noch mit einem Aufenthalt bei den Botokuden krönen.

Ein "waschechter Wilder!"

Aber wie? Die Waldindianer gelten als feindselig, niemand spricht ihre Sprache, niemand kennt ihre Rückzugsorte. Niemand außer Joaquim. Der etwa siebzehnjährige Indio willigt ein, den Deutschen als Scout, Dolmetscher, Türöffner und Vermittler zu begleiten. Die Mission gelingt, der Prinz findet, was sein Entdeckerehrgeiz erstrebt und kann es kaum erwarten, den Reisebericht abzufassen. Doch dazu braucht er Joaquims Hilfe, sein Wissen. Und zwar daheim, in Deutschland.

Nuguäck, der nun Joachim Quäck heißt, folgt dem Prinzen an den Rhein und trifft am 12. Februar 1818 in Neuwied ein. Dort sorgt die Ankunft des Indianers für tuschelnde, trappelnde Aufregung. Ein Wilder! Ein waschechter Menschenfresser! Das schlägt alles! Das muss man sehen, hören, vielleicht sogar anfassen! Bald belagert eine Flut von Gaffern das Schloss. Sie quellen von überall her, aus dem nahen Koblenz, aus Siegen, Wiesbaden, Mainz.

Um das Chaos zu meistern, richtet der Prinz ein Besuchszimmer und feste Besichtigungsstunden ein. Quäck nimmt die Schaulust gleichmütig hin, lässt sich bestaunen, beglotzen, betatschen. Er singt, tanzt, gibt Proben seiner Stammessprache und Bogenkünste, ahmt Tierstimmen nach, kredenzt putziges Deutsch.

Einsames Heimweh

Wirklich gut sind aber nur die wenigen Stunden, die er als lebendige Erinnerungsstütze im Schreibkabinett des Prinzen oder im Austausch mit Gelehrten zubringt. Dann ist der Wald wieder da und stutzt dem Heimweh die Krallen. Nach drei Jahren ist das Reisebuch fertig. Brasilien ist abgehackt, ab sofort brennt der Prinz nur noch für die Indianer Nordamerikas. Die Gelehrten kommen seltener, die Hälserecker bleiben aus. Quäck ist eine Neuigkeit von gestern, menschliches Altpapier. Er beginnt zu trinken, trinkt immer mehr, trinkt hemmungslos.

Man redet ihm zu, schmeichelt, droht, weist Diener, Händler und Wirte an, ihm den Schnaps zu verweigern. Aber Quäck, von dem zuletzt nur noch ganz tief drinnen ein winziges, verdorrtes Klümpchen Nuguäck übrig ist, findet Wege, den Nachschub zu sichern. Er hört nicht auf, kann nicht aufhören. Er muss sich das grüne Geplapper des Regenwaldes, seine federnden Böden, die fruchtbaren Schoßgerüche und das gefiederte Licht, muss sich all die tausend Düfte, Stimmen, Farben herbeitrinken. Es dauert lange, bis Quäck sich heimgesoffen hat. Am 1. Juni 1834 macht seine Leber der Qual ein Ende und lässt Nuguäck in den Regenwald seiner Kindheit entschlüpfen.


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