Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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2. April 1928 Der eiserne Gustav beginnt seine Fahrt nach Paris

Mit seiner Kutschfahrt von Berlin nach Paris im Jahr 1928 machte sich der Berliner Droschkenkutscher Gustav Hartmann zur Legende – und leistete einen sehr eigenwilligen Beitrag zur Völkerverständigung. Autorin: Christiane Neukirch

Stand: 02.04.2019 | Archiv

02 April

Dienstag, 02. April 2019

Autor(in): Christiane Neukirch

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Welchen Grund gibt es, mit einer Kutsche 1000 Kilometer weit von Berlin nach Paris zu fahren, wenn man doch einfach ein Auto nehmen könnte? Nun ja – zum Beispiel, weil man es immer schon so gemacht hat. Oder weil man ein Zeichen setzen möchte. Oder beides.

Pferdedroschkenfahrverbot

Der Berliner Droschkenkutscher Gustav Hartmann sah sein Gewerbe im Jahr 1928 vom Aussterben bedroht. Die Anzahl der Droschken in der Hauptstadt war innerhalb weniger Jahre drastisch geschrumpft: gerade einmal 200 Kutschpferde gab es noch; und was es außerdem gab, war eine brandneue Verordnung, die da lautete: "Eine Erlaubnis zum Betrieb von Pferdekutschen wird nicht mehr erteilt". Denn nicht nur wegen ihrer Behäbigkeit kamen sie dem Autoverkehr in die Quere; die Kutscher teilten gegen die erwerbsgefährdende Konkurrenz auch oft buchstäblich ungezügelte Seitenhiebe aus.

Gustav Hartmann teilte den Hass auf die Automobile nicht; er hatte selbst zwei Motortaxis in der Garage. Doch er erkannte, dass es Zeit war, die letzte Kutschfahrt anzutreten – nicht nur der modernen Zeiten wegen. Mit 68 Jahren konnte er sich guten Gewissens zur Ruhe setzen.

Für diese letzte Fahrt hatte er eine grandiose Idee. Angeblich war daran eine Frau schuld – genauer: eine Französin namens Madame Rachel Dorange. Die war nach Berlin auf ihrem Pferd geritten, 1000 Kilometer weit. Das weckte Gustavs Ehrgeiz: "Was eine Frau kann, das kann ich auch!"

Mit 1 PS nach Paris

Was seine eigene Frau dazu sagte, ist nicht überliefert; jedenfalls brütete Gustav Hartmann fortan über seinem Plan, der ihn 5 Monate lang von zu Hause fernhalten würde. Mit 1 PS von Berlin nach Paris. Die Pferdestärke lieferte sein treuer Wallach Grasmus. Hartmann sorgte dafür, dass die Öffentlichkeit mit Bild und Wort über die Unternehmung auf dem Laufenden gehalten wurde:

Vom Ullstein-Verlag ließ er 10.000 Postkarten drucken – in Deutsch und Französisch  - und er ließ sich von einem bekannten Reporter begleiten.

Am 2. April 1928 ging es los. Sein Plan trug Früchte: wo er hinkam, wurde er mit Begeisterungsstürmen empfangen. Gerade zehn Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs hielt er, der Deutsche, bei französischen Kriegsgräbern auf seinem Weg inne und verneigte sich vor den Gefallenen. So eroberte er die Herzen der Franzosen im Sturm. Als er an seinem 69. Geburtstag in Paris einrollte, waren die Straßen gesäumt von Menschen und erfüllt von Jubelrufen: "Schüstaff Döfärr"! und „Vive l’Allemagne!“ schallte es überall.  Gustav Hartman und Pferd Grasmus – beide ohne Französischkenntnisse - waren zu Botschaftern der Völkerverständigung geworden.

Den Beinamen "Der Eiserne" hatte Gustav schon vor seiner Fahrt, da er auf seinem Posten in Berlin Wannsee immer eisern auf den letzten Zug wartete. Doch nach seiner Tour wurde der "Eiserne Gustav" zur Berliner Symbolfigur – für seine Beharrlichkeit, mit der er sich gegen die neue Entwicklung stemmte. Ein ewig Gestriger also? Wer weiß – vielleicht doch einer mit Weitblick. Denn ein Jahrhundert später ist es an der Zeit, sich von der Allgegenwart des Verbrennungsmotors zu verabschieden und über ressourcenschonendere Antriebe nachzudenken. Da könnten Gustav und Grasmus vielleicht auch irgendwie als Vorreiter gelten.


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