Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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8. April 1904 Der britische Okkultist Aleister Crowley beginnt mit der Niederschrift seines "Buch des Gesetzes

Aleister Crowley: Okkultist, Magier und Meister – vor allem der Selbstinszenierung, was auch seine eigene Bibel, das "Buch des Gesetzes", zeigt. Autorin: Katharina Hübel

Stand: 08.04.2021 | Archiv

08 April

Donnerstag, 08. April 2021

Autor(in): Katharina Hübel

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Menschen, die um jeden Preis ins Rampenlicht wollen, tun sich schon einiges an. Sie baden in Kakerlaken. Essen Känguru-Hoden. Kippen sich ein Schnapsglas Busch-Schwein-Sperma zur Abrundung in den Rachen oder stillen ihren Durst mit Kuh-Urin. Ekel ist das zentrale dramaturgische Element, das auch von TV-Shows wie dem "Dschungelcamp" gerne genutzt wird. Wer glaubt, dies sei Zeichen unserer Zeit, der sei auf eine Zeitreise mitgenommen. Zur Jahrhundertwende gab es genauso Menschen, die – auf Teufel komm raus – ein Star werden wollten.

Meister und Magier

Zum Beispiel: Aleister Crowley. Meister der Selbstinszenierung. Selbst ernannter Sex-Magier und okkulter Religionsbegründer mit satanistischer Aura. Er führt kein sonderlich aufregendes Leben als Enkel-Kind eines reichen Brauereibesitzers im englischen Warwickshire. Edward Alexander Crowley, wie er bei Geburt noch heißt, will das ändern und fängt mit seinem Namen an: Er wählt "Aleister Crowley" – ein Name mit Versmaß. Ein Daktylus, gefolgt von einem Spondeus. Das hat Starpotential. Und womit kann er nun berühmt werden? Schach scheint ihm zunächst geeignet. Doch die Nerds auf der Europameisterschaft schrecken ihn ab – in seinen Worten: "Schlappe Parodie der Menschheit". Dann eben Extrembergsteiger. Für einen Asthmatiker genau das Richtige.

Doch Crowley schafft es ganz nach oben. Bis er bei einer Himalaya-Expedition vier andere Bergsteiger einer Lawine überlässt. Impulsiv, arrogant, rücksichtlos. Das qualifiziert ihn als Guru. Crowley experimentiert mit Drogen. Er schockt die Londoner High Society. Schreibt pornografische Gedichte. Skandalromane. Führt ein ausschweifendes Sexual-Leben. Egal ob mit Frauen, Männern, Prostituierten. Auf seiner Hochzeitsreise hat er dann ein spirituelles Erweckungserlebnis. Und beschließt, eine eigene Religion zu begründen. Lässt sich von seinen Anhängern zum Gott weihen.

Wahnsinn, Irrsinn und Tod

Und verfasst eine eigene Bibel: Am 8. April 1904 beginnt Aleister Crowley das "Buch des Gesetzes" niederzuschreiben. 220 Verse, die die Welt aus ihren Beschränkungen befreien sollen. Die grundlegende Schrift seiner Religion "Thelema", den Weg zum freien Willen. Die Verse seien ihm in einem Hotel in Kairo zwischen 12 und 13 Uhr mittags an mehreren Tagen von einem Geist diktiert worden. Crowley wendet sein gesamtes Erbe dafür auf, seine Literatur selbst zu verlegen und in Sizilien eine Abtei zu gründen. Man könnte auch sagen: Eine frühe Hippiekommune. Exzessiver Drogenkonsum und Sex in allen Varianten. Rituale kultivieren Ekel und seine Überwindung: Ziegen-Exkremente essen beispielsweise. "Ich will Blasphemie, Mord, Vergewaltigung, Revolution, irgendwas. Egal, ob gut oder schlecht, nur stark.", formuliert Crowley. Und hinterlässt eine Spur aus Wahnsinn, Irrsinn und Tod. Aber auch von Faszination und Bewunderung.

Er inspiriert L. Ron Hubbard, den Begründer von Scientology, genauso wie zahlreiche Künstler der Pop- und Rockkultur. David Bowie, Marylin Manson, Iron Maiden, Mick Jagger, Ozzy Osbourne, Red Hot Chilli Peppers – sogar die Beatles. Sie greifen seine kostümreiche Selbstinszenierung auf, widmen ihm Songs, ganze Alben, Plattencover, kaufen seine Gemälde. Aleister Crowley bekommt posthum den Weltruhm, den er ersehnt hatte. Der Preis: 1947 stirbt er bankrott, heroinsüchtig und als Verurteilter in einem Hotelzimmer.


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