Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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8. Januar 1963 Das Bundesurlaubsgesetz wird verkündet

Der Anspruch auf Erholung und Freizeit gehört zwar seit 1948 zu den allgemeinen Menschenrechten, doch das dazugehörige deutsche Bundesurlaubsgesetz gab es erst seit dem 8. Januar 1963. Endlich! Autorin: Justina Schreiber

Stand: 08.01.2020 | Archiv

08 Januar

Mittwoch, 08. Januar 2020

Autor(in): Justina Schreiber

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Die Gegensätze könnten kaum größer sein: hier die schnell hochgezogenen, grauen Wohnblöcke in den wieder aufgebauten Städten. Dort Chianti, dolce vita, amore und gelato. Dass sich Italien nach dem Zweiten Weltkrieg zum beliebtesten Reiseziel der Deutschen entwickelte, war letztendlich Romantik pur.

Als die blanke Existenz gesichert schien und das Leben der Deutschen wieder in einigermaßen ruhigen Bahnen verlief, verbreitete sich der Wunsch, die "schönsten Tage im Jahr" nicht daheim in Balkonien zu verbringen, sondern in der Fremde etwas nicht allzu aufregend Neues zu erleben.

Urlaub, endlich Urlaub!

Der Anspruch auf Erholung und Freizeit gehörte zwar seit 1948 erklärtermaßen zu den allgemeinen Menschenrechten. Den Deutschen jedoch waren zunächst noch Hände und Füße gebunden. Erst als Mitte der 50er Jahre die Visumpflicht für 13 europäische Staaten aufgehoben wurde, konnten auch sie dem Tapetenwechsel in größerem Stile frönen. Das deutsche Bundesurlaubsgesetz vom 8. Januar 1963 trug dem erwachenden Reisefieber spät genug Rechnung; nachdem in zähem Ringen mit den Gewerkschaften bereits die Wochenarbeitsstunden in der Industrie von 50 auf 44 herabgesetzt worden waren.

Reif für die Insel?

Das neue Gesetz machte deutlich, dass der Aus- und Aufbruch in den Süden oder sonst wohin von Staats wegen nicht nur toleriert, sondern sogar erwünscht sei. Jeder, aber auch wirklich jeder Arbeitnehmer hatte von nun an Anspruch auf mindestens 24 Werktage Erholungsurlaub bei Lohnfortzahlung; das waren doppelt so viele wie noch 1954. Außerdem legte der Gesetzgeber Wert darauf, dass der Jahresurlaub zusammenhängend gewährt und genommen wurde.

Was bedeutete, dass ein braver Bürger also einen ganzen Monat lang gewissermaßen zum Sonnenbaden oder Sandburgen bauen verpflichtet war.

In dem guten Gefühl "Wir haben es uns redlich verdient" ging es nun Sommer für Sommer nach Österreich etwa. Oder eben nach Bella Italia. Zunächst in Sonderzügen mit der Bahn, dann auch mit dem eigenen Wagen; angelockt von billigen Benzingutscheinen für Ausländer. Wörter wie "Blechlawine", "Urlaubsstau" und "Autoschlange" eroberten sich ihren festen Platz im deutschen Wortschatz. Die Adriaküste mutierte zum "Teutonengrill". Aber der Spott über die touristischen Massen, die "würstel con krauti" bestellten und blöde Schnappschüsse machten, beschreibt das Phänomen genauso unzulänglich wie der dürre Duktus des Gesetzbuches, das betont, dass "der Urlaubsanspruch durch wirksame Erfüllung" erlischt.

Auch wenn sie fast alle jedes Jahr brav wieder heimkehrten, Souvenirs und Super-8-Filme im Gepäck: Entwarf die in zahllosen Diaabenden landauf, landab zelebrierte Verklärung des gesetzlich verankerten Jahresurlaubs nicht ein grandioses Gegenbild zur bundesrepublikanischen Wirklichkeit? Vielleicht war die Feier von Capris roter Sonne ja in ihrem tiefsten Grunde eine Art Protest. Die stumme Kritik des Volkes an einer Gesellschaft, in der kalter Krieg und atomare Aufrüstung neues ohnmächtiges Grausen heraufbeschworen.


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