Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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6. Dezember 1890 Charles Richet impft zum ersten Mal

Charles Richet, Nobelpreisgekrönt für Physiologie und Medizin, gelang es, die erste Serumimpfung an einem Menschen durchzuführen. Fraglos ein großes Verdienst. Sonst war so manches in seinem Leben eher fragwürdig. Autorin: Brigitte Kohn

Stand: 06.12.2019 | Archiv

06 Dezember

Freitag, 06. Dezember 2019

Autor(in): Brigitte Kohn

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Schon mal was von Bien-Boa gehört? Nein? Bien-Boa war ein 300 Jahre alter Hindu-Brahmane, der sich im Jahre 1905 regelmäßig aus einer weißen Lichtwolke herausmaterialisierte, um sich dann rückstandslos in derselben wieder aufzulösen. Charles Richet, Physiologieprofessor an der Universität von Paris und Medizin-Nobelpreisträger des Jahres 1913, hat das gesehen und bezeugt. Er war regelmäßiger Gast bei einer Dame, die sich als Medium inszenierte und vorgab, Verstorbene aus dem Jenseits heraufbeschwören zu können. Richet merkte nicht, dass der Hindu nur ihr Kutscher war, dem sie eine Falltür, einen faltenreichen Überwurf und ein paar Nebelschwaden zur Verfügung gestellt hatte.

Im Dienste der hohen Wissenschaft

Auch andere hochkarätige Wissenschaftler ließen sich recht problemlos hinters Licht führen. Viele von ihnen glaubten an die Geisterwelt und waren glücklich über jede Chance, einen Vertreter zu treffen und ihn ihren mathematischen, chemischen, physikalischen oder sonstigen Spekulationen zu unterwerfen. Gott war entthront, die Wissenschaft galt als allmächtig. In den Köpfen derer, die keine Grenzen kannten, entstanden neue Mythen.

Richet hat eine Menge origineller Beiträge zur Parapsychologie geleistet, aber dafür hat er den Nobelpreis nicht bekommen. Auch nicht für die Tatsache, dass er der erste war, der am 6. Dezember 1890 einem Menschen ein Serum gegen Tuberkulose injizierte. Wie dieser Mensch hieß und was aus ihm wurde, weiß man nicht, die Sache war wohl kein Erfolg. Den Durchbruch und damit den Nobelpreis brachte die Erkenntnis, dass nicht alle zugeführten Giftstoffe einen Organismus immun machen. Manche bewirken auch das Gegenteil: einen anaphylaktischen, möglicherweise tödlichen Schock.

Für diese Einsicht hatte Richet unzählige Meerschweinchen, Kaninchen und Hunde zu Tode gequält. Und dies nicht in erster Linie, um ein Heilmittel für Menschen zu finden, wie er sagte. Sondern um der Natur ihre Geheimnisse zu entreißen und dadurch der hohen Wissenschaft zu dienen, als Selbstzweck. Das Wehgeschrei der Tiere und ihrer Freunde lasse ihn kalt.

Falsche Selektion?

Trotzdem gilt Richet bis heute als Menschenfreund, und zwar wegen seines pazifistischen Engagements. Er hasste den Krieg und schrieb sich die Finger wund, um der Menschheit das Blutvergießen auszureden. Seine Begründung allerdings klingt stellenweise seltsam. Die eigentliche Katastrophe des Krieges sei nicht der Tod des Einzelnen, schrieb er, sondern das kollektive Ausbluten der Völker hauptsächlich auf der Seite der jungen und gesunden Männer. Für die Frauen blieben nur die die ausgemusterten Krüppel, die Kranken und Alten blieben übrig. Richet fand Selektion gut, aber das war die falsche Richtung.

Als strikter Verfechter der Eugenik vertrat er auch offen rassistische Thesen und stand damit in seinen Kreisen nicht allein. Und der Verdacht liegt nahe, dass auch aus dieser Richtung der Wind wehte, der den europäischen Faschisten und auch den Nationalsozialisten Auftrieb verschaffen sollte.


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