Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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26. September 1969 Erste Folge der "The Brady Bunch" ausgestrahlt - "3 Mädchen und 3 Jungen"

Filmkritiker denken gern, manche TV Serie sei zu süßlich, um sie zu ertragen. Das stimmt. Es sei denn, sie wirkt wie ein süßes Gegengift zur schnöden Realität ihres Publikums. Bei dieser Serie könnte das der Fall gewesen sein. Alleinerziehenden Mama heiratet alleinerziehenden Papa. Autorin: Anja Mösing

Stand: 26.09.2022 | Archiv

26 September

Montag, 26. September 2022

Autor(in): Anja Mösing

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Sonnenklar: Bei Aschenputtel lief es nicht so gut.
Natürlich: Am Schluss hat der Prinz das Aschenputtel gefunden und sie haben geheiratet. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Aber davor!
Davor musste Aschenputtel mit einer nagelneuen Stiefmutter zusammenleben und mit fiesen Stiefschwestern. Da hat sie gelitten. Patchwork wie es schlimmer kaum geht: Immer wurden ihre Stiefschwestern bevorzugt.
Und Aschenputtels Vater? Nie da, wenn seine Tochter ihn brauchte.
Wie im wahren Leben.
Also damals! Heute ist alles anders … hoffentlich!

Da konnte nur ein Prinz helfen

Aber noch in den 1960er und 70er Jahren, da waren Märchen als Gegengift zur schnöden Realität dringend notwendig.
Fernseh-Märchen!
Warum sonst wären Serien wie The Brady Bunch so unfassbar gern angeschaut worden? Bei uns hieß die Reihe: Drei Mädchen und drei Jungen und lief im ZDF. In den USA, wo sie erfunden und gedreht wurde, kam die erste Folge am 26. September 1969 auf die Bildschirme.

Bei den Bradys ist was los ...

Ekelhaft süß, so unerträglich lieblich, dass es eine Qual ist, die Serie überhaupt zu besprechen! So maulten die Film-Kritiker nach den ersten Folgen.
"Wo bekommen wir jetzt Insulin her?", soll einer sogar gemurmelt haben, als er aus dem Vorführraum kam.
Und es stimmt auch alles: Ja, die drei Söhne vom attraktiven Witwer Brady und die drei Töchter von der attraktiven Mutter Carol sprechen wie gedruckt. Immer. Natürlichkeit? Fehlanzeige.
Ja, alle sehen aus wie aus dem Ei gepellt: die Mädchen blond, die Jungs braunhaarig. Und alle benehmen sich mustergültig.
Wer darf wann das Telefon nutzen?
Sowas ist schon eine der brennendsten Fragen im Alltag dieser Patchwork-Familie. Auch da weiß Haushälterin Alice eine Lösung. Wie fast immer.
Am Ende jeder Folge ist die Welt von Familie Brady wieder in Ordnung.

Und das war gut so!
So musste es doch sein, damals, damit sie als süßes Gegengift wirken konnte! Denn die Realität war ja komplett anders: Film-Produzent Sherwood Schwarz hatte in einem Zeitungsartikel gelesen, dass 1966 bei 30 Prozent  aller Ehen, die in den USA geschlossen wurden, beide Eheleute schon Kinder mitbringen. Aus vorherigen Ehen! Patchwork war groß im Kommen, auch in Deutschland.

Im Fernsehen zuschauen zu können, wie das richtig gut laufen kann, wie ein ganz normaler Vater sogar da sein kann, wenn es Probleme gibt, dass er nicht immer eine Lösung weiß, sich aber für alle in der Familie interessiert: Das war Balsam.
In echt waren die Väter meist nicht da, sie tranken zu viel und interessierten sich mehr für ihre neue Frau als für den Kinderkram.

Klar, die Drehbuchschreiber durften Mutter Carol nicht einmal zur berufstätigen Mutter machen. Schon die Patchwork-Familienkonstellation schien den Verantwortlichen des Senders ABC wagemutig genug. Drei Jahre Überzeugungsarbeit hatte Sherwood Schwarz gebraucht, um als Erster über dieses Familienmodell erzählen zu dürfen.
Dann hatte er Erfolg: fünf Jahre lang lief The Bradys im Fernsehen.
Kein Wunder! Vor ihrer Zeit als Prinzessin hätte selbst Aschenputtel gern diese Serie geschaut.


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